Interview mit Axel Hacke: „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“

by Hofelich
Axel Hacke, Portraitfoto

Mit seinem Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ hat Axel Hacke den Nerv der Zeit getroffen. Der Bestseller-Autor und Kolumnist des Süddeutsche Zeitung Magazins sieht in diesen aufgewühlten Zeiten die Grundlagen unseres bisherigen Zusammenlebens bedroht und stellt die Fragen: Was bedeutet es eigentlich für jeden Einzelnen, wenn Lüge, Rücksichtslosigkeit und Niedertracht an die Macht drängen oder sie schon errungen haben? Wenn so erfolgreich in der Öffentlichkeit gegen alle bekannten Regeln des Anstands verstoßen wird? Im Interview spricht Axel Hacke darüber, wie man unter diesen Bedingungen ein anständiges Leben führen kann und wie man richtig lebt – mit sich selbst und mit anderen.

Herr Hacke, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, ein Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ zu schreiben?

Hacke: Ich habe im Januar 2017 begonnen, an dem Buch zu arbeiten, unter dem frischen Eindruck von Donald Trumps Inauguration und dem des zurückliegenden Wahlkampfes, in dem ja Trump sich wirklich als niederträchtige Person gezeigt hatte, die vor keiner Beleidigung und keiner Infamie zurückschreckte.

Dazu passte, was zum Beispiel in Dresden bei den Pegida-Demonstrationen geschah und was man im Internet in den Kommentarspalten, auch auf Facebook beobachten konnte: eine zunehmende Enthemmung, Schäbigkeit und Aggressivität. Das alles warf für mich die Frage auf, wie so etwas möglich ist und was es für uns und unser Zusammenleben bedeutet – und dieser Frage wollte ich nachgehen.

Vor allem Donald Trump ist ein Symbol für einen immer weiter um sich greifenden Tabubruch. Welche Wirkung entfaltet es auf die Gesellschaft, wenn zunehmend auch Eliten alle Regeln des Anstandes beiseitelassen?

Hacke: Das sehen wir ja ständig. Es führt zu einer Entgrenzung, dazu, dass Dinge salonfähig werden, die es nicht sein sollten. Es führt auch dazu, dass Rechtsradikale durch unsere Straßen ziehen und dabei antisemitische Parolen grölen und den Hitlergruß zeigen, von der physischen Gewalt gar nicht zu reden.

Es führt zu einer Radikalisierung auf allen Seiten, weil natürlich die Wut über diese Dinge auch dazu führt, dass auf der anderen Seite Leute die Contenance und jedes Maß verlieren. Dass man zum Beispiel im Sommer 2018 einen Mann wie Seehofer bisweilen als Vorboten des Faschismus apostrophierte, gehört für mich ins Bild. Ich hatte nie politische Sympathien für ihn, aber für war das auch ein Symptom einer Zuspitzung, die mir nicht gefällt.

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Egoismus, Macht und Rücksichtslosigkeit scheinen immer mehr Werte wie Menschlichkeit, Rücksicht und Respekt zurückzudrängen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach vor allem?

Hacke: Das ist nichts so Neues, das ist schon länger so. Wir leben schon länger in einer Gesellschaft, in der das Ego wichtiger ist als das Wir. Warum kann man in dieser Gesellschaft mit Immobilienspekulation schwerstreich werden, aber alle, die etwas für die Gemeinschaft tun, Pflegepersonal, Polizisten, Feuerwehrleute und so weiter können sich das Wohnen in manchen Städten kaum noch leisten? Ich bin eigentlich kein Linker. Aber da ist doch unübersehbar etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Inwiefern wird diese Entwicklung durch Internet-Foren und Social Media Plattformen noch verstärkt, die etwa sich viral schnell verbreitende Hasskommentare unter dem Deckmantel der Anonymität möglich machen?

Hacke: Das liegt an der Verantwortungslosigkeit von Konzernen wie Facebook und daran, dass wir diese Verantwortungslosigkeit hinnehmen und tolerieren. Facebook zum Beispiel unterliegt nicht den gleichen Regeln wie alle anderen Medien. Jede Zeitung ist auch für die Inhalte von Leserbriefen presserechtlich verantwortlich, auf Facebook aber dürfen sie die wildesten Dinge herum krakeelen und lügen wie gedruckt, ohne dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Im Gegenteil: Facebook belohnt ein solches Verhalten noch, weil es Emotionen belohnt. „Angry people click more“ ist eine Devise, nach der wutgeladene Postings immer bevorzugt werden und im Newsfeed nach vorne rutschen. Das steigert sich. Für viele Menschen kreiert Facebook eine Scheinwelt aus Lügen, in die kaum eine Wahrheit vordringt – und die Firma tut nichts dagegen, im Gegenteil. Aber wenn wir das hinnehmen, sind wir selbst schuld.

Warum ist der etwas altmodisch klingende Begriff „Anstand“ für Sie heute aktueller denn je? Was verstehen Sie genau darunter? Was bedeutet es heute, anständig zu sein?

Hacke: Anstand ist eigentlich ein sehr schwammiger Begriff und wird oft auf Benimm und gute Manieren reduziert. Schon Adolph von Knigge nannte sein Buch, das 1788 zum ersten Mal erschien, „Über den Umgang mit Menschen“. Da geht es also in einem sehr umfassenden Sinn um unser Zusammenleben und darum, dass dabei Begriffe wie Freundlichkeit, Wohlwollen, Gesprächigkeit, Neugier, Interesse an anderen eine Rolle spielen sollten.

Für mich ist Anstand eine sehr grundsätzliche menschliche Haltung, die allen Menschen gilt, und die letztlich auf einer prinzipiellen Solidarität mit anderen beruht. Denn wir alle teilen als Menschen das gleiche Schicksal, kommen ungefragt zur Welt, müssen das Leben meistern und schließlich sterben.

Inwiefern ist heute das Gefühl in der Gesellschaft, vernünftig mit anderen zusammenzuleben, abhanden gekommen? Wie manifestiert sich das vor allem?

Hacke: Es manifestiert sich in einem steigenden Aggressionslevel und einer zunehmenden Unversöhnlichkeit, die uns noch schwer zu schaffen machen wird. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass die Krakeeler und die Radikalen nach wie vor nur eine kleine Minderheit sind. Aber sie bestimmen zunehmend das gesellschaftliche Klima. Das sollten wir nicht akzeptieren.

 

Axel Hacke

 

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft im Umgang miteinander, bei dem immer mehr Grenzen überschritten werden?

Hacke: Die tieferen Gründe sehe ich darin, dass wir in einer Zeit großer Umwälzungen leben. Wir erleben eine Revolution nach der anderen, in unseren Kommunikationsmitteln und unseren Produktionsmethoden zum Beispiel. Das macht Menschen unsicher und auch Angst. Sie haben das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen schwankt. Und Angst kann schnell umschlagen in Hass auf jene, die man zu Unrecht verantwortlich macht für solche Probleme, Flüchtlinge zum Beispiel. Ich verbringe viel Zeit in Italien, das schon lange mit großen Problemen kämpft.

Die haben viele Ursachen, sie liegen in der Hauptsache in Italien selbst. Das hören viele aber nicht gerne, und nun kommt ein so rücksichtsloser und brutaler Mensch wie der neue Innenminister Salvini und macht für jedes einzelne Problem die EU und die Flüchtlinge verantwortlich. Und schon ist man aller Schwierigkeiten ledig, muss nicht weiter nachdenken, sondern hat ein klar zu bekämpfendes Ziel. Das damit niemand geholfen ist, wird sich noch herausstellen. Aber dann ist es vielleicht zu spät für vernünftige Lösungen.

Wie können wir eine Antwort auf die grundlegende Frage finden: Wie lebt man richtig, mit sich selbst und mit anderen?

Hacke: In dem man die Frage überhaupt erst einmal stellt. Zu lange haben wir ja diese Entwicklungen einfach hingenommen. Um auf das Beispiel Facebook zurückzukommen. Wir haben große Teile unserer sozialen Kommunikation in unserem Land und in Europa einfach an eine profitorientierte amerikanische Firma ausgelagert und tun das immer noch, einen Konzern, der sich an keine Regeln hält, während alle anderen Medien das tun müssen und wollen. Das ist doch verrückt.

Wie wichtig ist es für das Zusammenleben, die Antwort erst einmal nicht bei anderen, sondern bei sich selbst zu suchen?

Hacke: Es ist in menschlichen Beziehungen immer nützlich, das eigene Verhalten in den Blick zu nehmen, weil ich nämlich der einzige Mensch bin, den ich ändern kann. Ich glaube deshalb, dass es nicht sehr sinnvoll ist, sich in der Auseinandersetzung mit populistischen Parteien wie der AfD, die davon leben, Hass, Feindseligkeit und Angst zu schüren, auf deren Niveau zu begeben.

Es bringt nichts, sich im Bundestag, wie es ein SPD-Abgeordneter getan hat, zu Sätzen wie „Hass macht hässlich“ zu versteigen, da begibt man sich nur auf deren Niveau. Man sollte bei seiner eigenen Haltung bleiben und über die eigenen Ziele sprechen, also positive Ideale formulieren für sich und die Welt. Mark Twain hat mal gesagt: „Streite dich nie mit dummen Leuten, sie ziehen dich nur auf ihr Niveau herunter und schlagen dich dann mit ihrer Erfahrung.“ Will sagen, bleib auf deiner Ebene und bei deinem Anspruch an dich selbst!

Sie plädieren an die Menschen, nicht nur passiv zuzuschauen, sondern sich auch zu engagieren. Warum ist das so wichtig?

Hacke: Demokratie ist keine Zuschauerveranstaltung, die man immer nur vom Sofa aus passiv konsumieren könnte und in der sich das eigene Engagement im Schimpfen auf Politiker erschöpfen könnte. Man muss schon selbst etwas tun, gerade in diesen Zeiten. Das geht nämlich in einer Demokratie sehr gut, und es tut auch dem Einzelnen sehr gut.

 

 

Welche wichtigen Projekte stehen demnächst auf Ihrer Agenda?

Hacke: Ich schreibe meine Kolumne im Magazin der Süddeutschen Zeitung, ich trete praktisch jede Woche irgendwo mit meinem Lesungsprogramm auf, und ich sitze am nächsten Buch. Aber darüber rede ich immer erst, wenn es fertig ist.

Was ist für Sie persönlich der Sinn des Lebens?

Hacke: Der Sinn des Lebens wird uns nicht auf Bestellung geliefert. Wir selbst müssen unserem Leben einen Sinn geben, jeder für sich. Ich sehe ihn in meiner Arbeit, darin, aus meinen Talenten durch Anstrengung das Beste zu machen. Und ich sehe ihn im Zusammenleben mit anderen, meiner Frau, meiner Familie, meinen Freunden, in einem anständigen, maßvollen Leben.

Das Interview führte Markus Hofelich.

Weitere Informationen unter: www.axelhacke.de
Bilder: Thomas Dashuber / Cover: Verlag Antje Kunstmann

 

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