Interview mit Felix Maria Arnet: „Gescheit scheitern”

by Hofelich
Interview mit Felix Maria Arnet: „Gescheit scheitern”

Scheitern passiert – täglich, stündlich, jedem. Es ist ein Alltagsphänomen und gehört zum Leben. Dennoch wird es in unserer Gesellschaft häufig stigmatisiert. Aber wenn wir lernen, forschen, kreativ sind oder Höchstleistungen anstreben, dann ist Scheitern kein Fehler, sondern Treiber von Erkenntnisprozessen und Fortschritten. „Gescheit scheitern“ heißt das im Frühjahr erschienene Buch von Coach, Speaker und Autor Felix Maria Arnet. Im Interview zeigt Arnet, wie wir richtig mit Misserfolgen umgehen, wie ein konkretes Notfallprogramm im Umgang mit Krisen aussieht und wie uns die Fail-Forward-Strategie auf dem Pfad des persönlichen Wachstums weiterbringt.

Herr Arnet, Sie sagen, Misserfolg und Niederlagen gehören zu den letzten Tabuthemen unserer Leistungsgesellschaft, und werden immer noch zu Unrecht stigmatisiert. Was sind die Gründe dafür? Warum ist es gefährlich, das Scheitern so negativ zu sehen?

Arnet: Scheitern ist das „große Tabu der Moderne“, wie der Soziologe Richard Sennett sagt. Scheitern als Schande ist ein relativ neues Phänomen. Die Wahrnehmung einer Welt, in der Wachstum normal sowie Erfolg, Pflicht und Glück nicht Zufall sind, sondern selbstverständlich. The only way is up! Es geht nur vorwärts, schneller, besser, weiter!

Zudem ist unter dem Motto der persönlichen Selbstverwirklichung ein ganzes Spektrum an Rollen entstanden, in denen jeder von uns brillieren möchte.

Wir wollen…:

  • … nicht nur im Beruf erfolgreich, sondern auch gute Eltern sein.
  • … für andere Freunde sein wie ein Fels in der Brandung.
  • sportliche Erfolge einheimsen, möglichst in einer coolen Disziplin.
  • … schön wohnen, schnell fahren, stylish aussehen.
  • … die angesagten Bücher, Filme, Musik kennen.
  • … irgendwie ehrenamtlich was machen, um die Welt zu verbessern, usw.

Die komplexe Welt, in der wir uns selbst zu verwirklichen suchen, schickt uns bei unserer Suche nach Erfolg und Glück regelrecht in ein Minenfeld. So viele Chancen zu scheitern! Das ist schon ironisch: So sehr Scheitern ein Tabu der Moderne ist, so sehr ist es auch ein Phänomen der Moderne.

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Das ist die Kehrseite der Leistungsgesellschaft. Leistung an sich ist nichts Schlechtes, sie motiviert, ist schöpferisch, inspirierend und integrierend. Aber sie ist eben auch messbar, vergleichbar und damit kompetitiv. Wo Leistung ist, ist auch Minderleistung oder keine Leistung. Indem wir nur der Leistung einen Wert zumessen, verlieren wir unsere Fähigkeit, mit Misserfolg umzugehen und Krisen zu meistern.

Dies ist nicht etwa des Menschen Natur, sondern ein kulturell bedingtes Phänomen. „Dem Siegeszug des Kapitalismus haben wir die Gewinner- und Verlierermentalität zu verdanken“, stellt der Sozialpsychologe Professor Heiner Keupp fest. Das gemeinschaftliche Handeln, das früher das Überleben in kleineren oder größeren Gesellschaftsordnungen gesichert hat, ist einem Wettbewerbsverhalten gewichen, in dem das Individuum kontinuierlich und bisweilen zwanghaft Selbstoptimierung betreibt.

 

Scheitern aber richtig

 

Diese Denkweise wird kaum hinterfragt und sogar medial bestätigt. So vermitteln aktuell populäre Fernsehformate: Wer versagt, wird aussortiert. Wie verklemmt das Verhältnis zum Scheitern ist, zeigt auch, was sich in unserer Sprache an geflügelten Worten über das Scheitern findet. Während zum Beispiel das Englische die Wendung „to fail forward“, „vorwärts scheitern“, kennt, gibt es im Deutschen nichts Vergleichbares, allenfalls „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Aber was ist mit dem, der wagt und nicht gewinnt?!

Die Angst vor dem Scheitern ist Angst vor der Verachtung der Anderen – und letztlich auch vor Selbstverachtung. Damit ist sie, wie Professor Heinz Bude feststellt, ein spezielles Problem unserer Generation. „Die große Kampagne zur Selbstverwirklichung hat zum Ideal erhoben, dass das Leben auf allen Ebenen erfüllt sein soll“.

Die wachsende Komplexität unseres Lebens stellt uns überall Fettnäpfchen auf. An jeder Ecke lauert ein Fehler auf seine Chance und es scheint, als käme unsere „vollkaskobewährte“ und „jawboneüberwachte“ Existenz mit immer mehr Sollbruchstellen. Entsprechend ist die Reaktion auf das unvermeidliche Scheitern auch eine eher stille. Da die totale Selbstverwirklichung nicht glückt, rückt die totale Selbstverachtung ein.

Heinz Bude weist in diesem Zusammenhang auf etwas Interessantes hin: „Da hat eine gesellschaftliche Wende stattgefunden: Weg von den Grenzen dessen, was man darf, hin zu dem, was man kann. … Daraus ergibt sich aber auch: Wenn man scheitert, dann nicht an den Grenzen, die einem gesetzt werden, sondern an sich selbst.“

Man ist selbst schuld. Der Grund für das Scheitern wird da gesucht, wo im Selbstverständnis der Moderne die Quelle alles Wollens und Werdens, Strebens und Könnens liegt: Im Menschen selbst. Erfolg oder Scheitern ist nicht Schicksal, sondern Geschick, Ergebnis unserer Talente und Taten. Und damit ist die Schuld in der Welt, der modernen.

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Buch Felix Maria Arnet: „Gescheit scheitern”

Wer an einer wichtigen Aufgabe oder Herausforderung im Leben scheitert, fühlt sich dennoch zuerst niedergeschlagen, verzweifelt und minderwertig. Wie lässt sich dem Scheitern da etwas Positives abgewinnen?

Arnet: Das beste Argument für den Charme des Scheiterns ist der Fatalismus des Erfolgs. Wie fühlen wir uns im Moment des Erfolgs? Glücklich! Sicher, wir waren fleißig und motiviert, haben gute Entscheidungen getroffen oder wenigstens klug geraten. Aber vor allem haben wir eines gehabt: Glück! Das Dumme daran ist: Wir können nicht wirklich exakt sagen, warum wir Erfolg hatten. Erfolg ist schlecht analysierbar. Das ist einer der Gründe, warum es selten gelingt, auf Dauer erfolgreich zu sein. Erfolg ist tatsächlich schicksalhafter als Misserfolg.

Unser Scheitern hingegen können wir analysieren. Wir können mit ziemlicher Gewissheit nachvollziehen, wo wir Fehler gemacht und falsche Entscheidungen getroffen, uns Gefahren ausgesetzt haben oder zu träge waren. Der Nutzen des Scheiterns ist, dass wir lernen, wie man die Dinge besser macht, idealerweise sogar, wie man sie richtig macht.

Der Nutzen des Scheiterns ist zudem, dass wir zu leben lernen. Wir entdecken unsere Grenzen. Manchmal gelingt es uns sogar, sie zu überwinden oder zumindest ein wenig zu arrondieren. Wir entwickeln mentale und emotionale Widerstandsfähigkeit. Landläufig spricht man von der Stehaufmännchen-Mentalität. Fachleute sprechen von Resilienz.

Das Stehaufmännchen gibt seinem Scheitern einen Sinn. Es akzeptiert nicht nur, dass Niederlagen unvermeidlich sind, sondern erkennt sie als lebenswichtige Erfahrungen, die auf Dauer in ein realistisches und gesundes Selbstbild münden. Scheitern ist, wenn man richtig damit umzugehen weiß, keine existenzielle Bedrohung, sondern ein Quell für Lebenstüchtigkeit und persönliches Wachstum.

Scheitern erfordert zudem sehr viel mehr Geistesgegenwart, Entscheidungsfähigkeit und Präzision als Erfolg. Vor allem aber erfordert es unbedingte Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. Wer sein Scheitern meistert, wächst über sich hinaus. Wer es nicht meistert, hat immerhin noch etwas über sich gelernt. Wer es hingegen gar nicht erst versucht, kommt darin um.

Natürlich wird man durch gescheites Scheitern nicht die Welt verändern. Aber auch in einer sehr kompetitiven und fehlerintoleranten Gesellschaft wie unserer kann individuelle Fehlertoleranz existieren und uns unser Überleben sichern.

 

Erfolg und Scheitern

 

Was sind die wichtigsten Gebote, die in aktuen Krisensituationen das Überleben im Notfall sichern können?

Arnet: Natürlich ist jedes Scheitern individuell verschieden. Dennoch bietet sich für jeden Fall folgendes Notfallprogramm an. Es besteht aus fünf einfachen Sätzen:

  •  1. Machen Sie einen Punkt

Es erleichtert enorm, sich einer Sache bewusst zu werden: Jede Krise hat auch ein Ende. Dass das stimmt, merkt man, wenn man Ballast abwirft. Zum Beispiel das dicke Auto, dessen Leasingraten drücken und es durch ein einfacheres ersetzt. Wenn man die teure Sportausrüstung verkauft oder in eine kleinere Wohnung zieht. Schon atmet man leichter. Man tut aktiv etwas zur Entspannung der Situation – und es tut auch gar nicht so weh!

Verabschieden Sie sich von aller Grübelei. Fragen wie „Wie konnte das passieren? Was habe ich falsch gemacht? Wer hat mir das angetan und warum?“ gehören ad acta. Was geschehen ist, ist geschehen. Es ist in der Welt, ein Faktum. Sie können es nicht mehr ändern. Sagen Sie es laut und allen, die es hören wollen: Ich bin gescheitert! Pleite! Geschieden! Betrogen! Akzeptieren Sie dies radikal und richten Sie Ihren Blick nach vorn auf einen Neustart.

Neustart nach dem Scheitern

 

  •  2. Suchen Sie sich einen Co-Piloten

Sie müssen einen unbestechlichen Partner finden, der Ihnen dabei hilft, Ihre Stärken zu definieren und einen Entwurf für die Zukunft zu entwickeln. Jemanden, der sich traut, mit Ihnen im Cockpit Platz zu nehmen, Ihnen aber trotz Ihres Scheiterns das Steuer weiterhin zu überlassen. Jemanden ohne Angst, aber auch ohne Illusionen. Jemanden, der nicht von Ihrem individuellen Scheitern betroffen ist, aber weiß, dass es eben passieren kann und dennoch nicht in Panik gerät. Das kann ein Freund oder Partner sein, ein Coach, ein Therapeut. Wichtigste Kompetenz dieses Co-Piloten ist, dass er oder sie sich von Ihnen kein X für ein U vormachen lässt.

  • 3. Denken Sie positiv

Das ist furchtbar abgedroschen, aber dennoch wahr – wenn man den Satz richtig versteht! Es geht nicht darum, mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen oder gar durch eine rosarote Brille zu schauen. Vielmehr gilt es, negative Gedanken zu meiden. In der Krise brauchen Sie all Ihre Kraft. Negatives raubt Ihnen diese. Sie brauchen jetzt viel mehr Antrieb, als in Ihren besten Erfolgszeiten. Üben Sie sich in Gedankenhygiene. Die grübelnde Rückschau ist genauso abträglich wie angstvolle Blicke in eine ungewisse Zukunft. Wenn Sie immer über den negativen Ausgang nachdenken, tun Sie unbewusst alles dafür, dass es tatsächlich so übel kommt, wie Sie es vorhersehen. Die klassische „self-fulfilling prophecy“.

Resilienz

  •  4. Steigen Sie in den Helikopter

Der Begriff „Co-Pilot“, der zuvor fiel, kommt nicht von Ungefähr. Sie müssen nämlich tatsächlich ins Cockpit und ab in die Höhe. In der Krise brauchen Sie einen Überblick, so schmerzlich und entmutigend dieser auch sein mag. Verschaffen Sie sich, vorzugsweise gemeinsam mit Ihrem Co-Piloten, einen Blick von oben. Ganz abgehoben von Ihrer Situation auf die Szenerie Ihres Scheiterns. Folgende Fragen sind zu klären:

  • Wo stehe ich?
  • Wohin könnte meine Reise gehen?
  • Welche Ziele sind realistisch zu erreichen?
  • Welche Wege muss ich dafür hinter mich bringen?
  • Was sind die Etappenziele?

Erstellen Sie einen einfachen, überschaubaren Plan über die nächsten Schritte. Und gehen Sie sie an! Sofort!

  • 5. Belohnen Sie sich

Jeder kleine Fortschritt sollte gefeiert werden. So kommt das positive Denken ganz von allein. Klingt komisch, ist aber so: In der Krise vollbringen Sie ständig erheblich größere Leistungen, als in Ihren großartigen, erfolgreichen und glanzvollen Tagen. Also feiern Sie sich, wenn es etwas zu feiern gibt. Gönnen Sie sich etwas Schönes und genießen Sie es ohne schlechtes Gewissen.

Sie mögen gescheitert sein, aber das liegt hinter Ihnen. Qualität geht hier unbedingt vor Quantität. Es muss kein Luxus sein, sondern ein Erlebnis, das Sie und Ihre Aufmerksamkeit so vollkommen fordert, dass Sie keinen Gedanken mehr an Ihr Scheitern verschwenden können. Wenn Sie z. B. schön essen gehen wollen, dann nicht in Ihr Lieblingsrestaurant aus alten Zeiten. Da werden Sie nur an Ihr vergangenes Leben erinnert. Probieren Sie lieber einen heißen Geheimtipp aus.

Nur wenige Menschen erkennen das gewaltige Potenzial eines vermeintlichen Fehlschlages. Worin kann dieses Potenzial bestehen? Wie kann man es erkennen?

Arnet: Das Potenzial besteht vor allem im persönlichen Wachstum durch die Krise. Bei jedem Scheitern schließt sich eine Tür. Wir haben eine Option weniger, um unser erstrebtes erfülltes Leben zu leben. Wir sind darauf zurückgeworfen, nach anderen Lebensentwürfen zu suchen, andere Talente einzusetzen, um neue Ziele anzustreben.

Der Begriff „persönliches Wachstum“ ist durchaus zwiespältig. Die Ambivalenz besteht darin, dass man bei etwas Wachsendem davon ausgeht, dass es größer wird. Beim persönlichen Wachstum, insbesondere wenn es durch Erfahrungen mit dem Scheitern geschieht, ist das nicht so. Tatsächlich ist es eine Reduktion. Dieses Wachstum ist kein Größerwerden, sondern ein Erwachsenwerden, ein Reifen oder Verfeinern.

Was wird reduziert? Wie schon gesagt, schließt sich bei jedem Scheitern eine Tür. Wir werden um eine Option für die Erfüllung unseres Lebenstraums ärmer. Wir verlieren Weggefährten, Lebenspartner. Wir verlieren an Gesundheit, Wohlstand und Ansehen.

Was wird aber gewonnen? Mit jedem Scheitern werden wir um eine Illusion über das, was wir zu können, wissen und wollen glaubten, erleichtert. Das ist ein wenig wie beim Schälen einer Zwiebel. Eine Schicht, die die Zwiebel zwar dicker machte, aber trocken, hart oder übelschmeckend war, wird abgeschält. Was übrig bleibt, ist besser, saftiger und frischer – eben Zwiebel wie sie sein soll.

Mit jedem Scheitern schält sich für uns unser wahres Ich heraus. Mit jedem Scheitern lernen wir uns besser kennen. Wir gewinnen ein realistischeres und gesünderes Bild von uns Selbst.

 

Potenziale erkennen

 

In Ihrem Buch zeigen Sie eine Reihe prominenter „beautiful losers“. Was zeichnet diese aus? Können Sie kurz einige Beispiele nennen?

Arnet: Interessanterweise sind fast alle großen Idole oder Superstars, die wir bewundern, beautiful losers gewesen, sogar so ein Chauvi und Macho wie Pablo Picasso. Der Inbegriff des Malergenies galt lange als gescheiterte Existenz. In der später gerühmten Blauen Phase war er so arm, dass er viele seiner Gemälde wieder verfeuerte, um seine Behausung ausreichend beheizen zu können.

Zeitgenossen, selbst Beflissene wie der Kunsthändler Vollard, hielten seine Malerei für „das Werk eines Verrückten“. Kollegen wie Georges Braque wurden bildlich: „In dieser Art zu malen ist so schlimm, als tränke man Benzin in der Hoffnung Feuer zu spucken“. Zu dessen Ehrenrettung: Er hat seine Meinung bald geändert und mit Picasso den Kubismus begründet.

In der Kunst finden wir überhaupt eine Menge beautiful losers. Das liegt wohl daran, dass hier, ebenso wie in der Wissenschaft, Scheitern nicht als Fehler, sondern als Methode zu Erkenntnisgewinn und Fortschritt begriffen wird. Jeder Künstler wird wohl das Credo des irischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Samuel Beckett unterschreiben:

 

„Ever tried. Ever failed. No matter. … Try again. Fail again. Fail better.“

 

Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. … Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. Egal welche Ikone der Kunstwelt Sie nennen, ob Cézanne oder Picasso, Beethoven oder Caruso, sie alle hatten „Karrieren“, die das ganze Gegenteil von Zuckerschlecken waren.

Zum Beispiel Caruso: Der spätere Startenor wurde von seinem Lehrer eher widerwillig angenommen, da seine Stimme sei, „wie der Wind, der an den Jalousien rüttelt.“ Singen hat der Bursche dann doch bei ihm gelernt, aber leider wenig mehr. Seine ersten Auftritte wurden ausgebuht, da er ein jämmerlicher Darsteller auf der Bühne war. Entsprechend war der „König der Tenöre“ zunächst ein singender Hungerleider. Dass er den Sänger-Olymp dennoch erklimmen konnte, erklärte er so:

„Was macht einen guten Sänger aus? Ein großer Brustkorb und ein ebenso großes Maul, 90 Prozent Gedächtnis, 10 Prozent Intelligenz, viel, viel harte Arbeit und ein Funke im Herzen.“

Ein Funke, genau! Neben der Kunst weiß auch die Wissenschaft um die Muse namens Scheitern. Trial-and-error, Versuch und Irrtum, sind quasi der linke und der rechte Fuß des Forschungsprozesses. Thomas Alva Edison, mit dem ich meine Speaker-Auftritte unter dem Motto „Wie ein Koffer ohne Griff“ eröffne, stellte nach einem x-ten Versuch, das richtige Material für den Glühfaden zu finden, lakonisch fest: „Prima. Jetzt kennen wir schon 8000 Wege, wie es nicht geht.“

Ich mag dieses Zitat unheimlich gern. Es erinnert mich immer wieder daran, was unser Leben eigentlich ist: ein riesiger Versuchsaufbau für fortgesetztes Trial-and-error üben!

 

Beautiful Loser

 

Übrigens: Ohne die Tugend des Fehlers gäbe es heute keine Nylonfasern und keine Post-it-Haftnotizen. Ohne die Schönheit des glücklichen Zufallsfunds wüssten wir nichts über die Röntgenstrahlung und hätten kein Penicillin. Und Amerika wäre auch nicht entdeckt.

Was zeichnet beautiful losers also aus, fragen Sie? Vor allem, dass sie sich nicht als solche begreifen, zumindest nicht die ganze Zeit. Generell wissen diese Menschen, was sie können, was sie wollen und wer sie sind, auch in der Krise, auch nach wiederholtem Scheitern. Es gibt im Kern ihrer Persönlichkeit etwas, das ihnen keiner nehmen kann.

Und vor allem haben sie eines: Mut. Das ist eine geradezu altmodische Vokabel heutzutage. Aber ich finde, diese alte Tugend trifft genau, was den Unterschied zwischen einem loser und einem beautiful loser macht. Scheitern kauft ihnen einfach nicht den Schneid ab. Sie werden immer wieder aufstehen und mutig neu beginnen, etwas zu wagen. Etwas Neues, etwas Unbekanntes. Etwas, was ihre persönlichen Grenzen ein Stück weit überschreitet. Und sie damit wachsen lässt.

Was verbirgt sich hinter Ihrer „Fail-Forward-Strategie: vorwärts scheitern“?

 Arnet: Es geht vor allem um konsequente Lernprozesse. Scheitern ist wirklich schlimm, wenn wir vergessen, daraus zu lernen. Es geht um Lernprozesse, die uns tatsächlich gescheiter machen, nicht bloß vorsichtiger – oder ängstlicher. Vorwärts scheitern bedeutet, auf eine Niederlage zu reagieren, aber mit dem Vorsatz, einen Vorteil zu gewinnen.

Diese entspannte Haltung gegenüber dem Scheitern ist verbreitet im englischsprachigen Raum anzutreffen. Vor allem in den USA, insbesondere in Entrepreneurs-Kommunen wie im kalifornischen Silicon Valley. Wer Fehlerkultur am lebenden Objekt studieren möchte, ist dort richtig.

50 Jahre „Summer of Love” – Höhepunkt der Hippie-Bewegung

 

Zitat von Damian Izdebski, der in Österreich mit einem anfänglich enorm erfolgreichen Unternehmen letztlich krachend gescheitert war und in Kalifornien, wo er zu einer Vortragsreihe geladen war, dies zu hören bekam:

„… die größten Chancen auf Kapital von Investoren haben Unternehmer, die sowohl Erfolge als auch Pleiten in ihrer Laufbahn erlebt haben. Einer … sagte mir, jetzt wäre ich erst als Unternehmer ‚vollständig’.“

Scheitern als Voraussetzung für Vollständigkeit, das klingt in unseren Ohren unerhört. Das Problem liegt in der mangelnden Fehlertoleranz, die uns anerzogen ist. Intoleranz gegenüber unseren eigenen Fehlern und denen anderer Menschen. Wer die Fail-forward-Strategie verfolgen möchte, muss damit Schluss machen.

Am besten fängt man damit im Kleinen an. Das Zauberwort heißt Achtsamkeit. Achtsamkeit kennt keine Routinen, Reflexe, Vorurteile. Eigentlich auch wenig Emotionen, außer einer generellen Freundlichkeit gegenüber allen Dingen, belebt und unbelebt. Achtsamkeit ist höchste Konzentration auf das Leben bei gleichzeitig maximaler Gelassenheit gegenüber seinen Überraschungen.

Hören Sie auf, sich über Petitessen zu ärgern. Beschimpfen Sie beispielsweise nicht den Autofahrer vor Ihnen, der die grüne Ampel nicht sieht. Hupen Sie nicht laut, sondern nur kurz freundlich, quasi ein Anstupser unter Schicksalsgenossen im Straßenverkehr. Wenn er ein ebenso kluger Fehlertoleranter ist wie Sie, bedankt er sich vielleicht sogar. Sie könnten noch lässig zurückwinken. Das fühlt sich so gut an.

Noch ein Beispiel: Lassen Sie sich nicht von einem an der Netzkante hängen gebliebenen Volley aus der Fassung bringen. Eventuell sogar so sehr, dass Ihnen gleich der nächste Schlag auch noch misslingt. Schütteln Sie nur den Kopf über sich, denken Sie darüber nach, was Sie falsch gemacht haben, üben Sie den Schlag ein oder zwei Mal trocken und nehmen Sie dann das Spiel wieder auf.

Ich halte jede Wette, jetzt klappt es. Oder eben beim nächsten Mal. An der Fehlertoleranz im Kleinen üben Sie, wie es geht. Dann sind Sie bald fit für die Fehlertoleranz im Großen. Da gehen Sie genauso vor.

 

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Was bringt das? Sie lernen, wie oft Sie Fehler machen. Sie lernen, dass Sie sogar öfter Fehler machen als alles richtig. Sie lernen, dass man dies ändern kann. Aber nicht mit Wut, Druck oder Selbstbetrug, sondern mit intellektueller Verarbeitung, Geduld und Demut.

Fail-forward-Strategie, Fehlertoleranz und Fehlerkultur: All die Wortakrobatik hat den einen Sinn, zu unterstreichen, dass es um einen intellektuellen, verstandesgeleiteten Prozess geht, wenn wir mit unserem Scheitern umgehen wollen. Ihr Kopf muss über Ihr Herz herrschen und erst recht über Ihren Bauch. Rationalität schlägt Emotionalität. Ihre Frage muss lauten: „Wie bringt es mich voran?“ Und zwar nicht zufällig, sondern weil Sie aus den vorangegangenen Fehlern gelernt haben. Das ist das Prinzip von „Fail Forward“.

Und dann ist da noch Fast Forward. Kennen Sie sie noch, die FF-Taste, z.B. am guten alten Kassettenrekorder? Fail Forward kann auch Fast Forward sein – ein Schnellvorlauf, der auslässt, was nicht hilfreich, relevant oder schlicht lästig ist. Denn es gibt Fehler und Fehler. Es gibt Fehler, die geschehen aus mangelnder Konzentration, mangelnder Motivation oder schlicht Überheblichkeit.

Im Sport nennt man solche Fehler „leichte Fehler“. Nicht weil sie weniger schädlich sind, sondern weil sie leicht zu vermeiden wären. Sie sind peinlich, weil fahrlässig, und gehören unbedingt abgestellt. Fehlertoleranz ist auch hier am Platze, aber nur einmalig. Im Sinne von abstellen, vergeben und vergessen. Diese Fehler lässt man zukünftig aus, denn sie bringen niemanden voran. Statt fail forward heißt es hier fast forward.

 

Fast Forward Strategie

 

Und dann gibt es Fehler, die aus anderen Gründen passieren: Fehler aus Unerfahrenheit, aus Arglosigkeit, aus Emotionalität, aus zu hohem Arbeits- oder Erwartungsdruck, oder schlicht aus Mangel an Informationen oder Kenntnissen. Diese Fehler sind im Moment zwar ebenso schädlich, schmerzlich und peinlich wie die so genannten leichten, aber sie erfüllen eine Funktion.

Sie lassen uns lernen, was nicht geht, aber sie zeigen auch, was gehen könnte und wie. Solche Fehler vergibt man, aber man vergisst sie niemals. Denn: Sie sind uns hilfreiche Leitplanken und Leuchtfeuer auf unserem Weg voran. Das ist mehr als Fehlertoleranz. Es ist Fehlerkultur. Auf dieser Fehlerkultur baut wie zuvor gesagt die gesamte Wissenschaftslandschaft auf. Dort heißt sie trial-and-error, Versuch-und-Irrtum.

Auf dieser Fehlerkultur baut ebenso die gesamte Kunstszene auf, siehe oben: „Ever tried. Ever failed. No matter. … Try again. Fail again. Fail better.“ Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. … Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. Samuel Beckett hatte so Recht.

Auf diese Fehlerkultur bauen schließlich auch die erfolgreichsten Unternehmen der Welt. 3M, der US-amerikanische Multikonzern und nicht zufällig einer der beliebtesten Arbeitgeber auf der Welt, hat gar ein ganzes Manifest zu Fehlerkultur.

Warum gibt es keine Fehlerkultur für das Scheitern im Individuellen? Ich denke, weil wir unserem Scheitern nicht mit dem Verstand begegnen, sondern nur mit Gefühlen, und zwar leider ausschließlich dunklen. Natürlich gehören Emotionen zu uns.

Aber Stehaufmännchen und Stehaufmädchen sind nicht nur deshalb so überlebensfähig, weil sie von Hause aus emotional ausgeglichen und seelisch gefestigt sind durch affirmativen Zuspruch, persönliche Bindungen und ein nicht zu erschütterndes Grundvertrauen in ein sicheres und gerechtes Dasein.

Mental widerstandsfähige Menschen sind vor allem zu einem fähig: Zur verstandesgeleiteten Bewältigung von schwierigen und emotional aufwühlenden Situationen.

Resilienz ist kein seelisches Phänomen, sondern eine intellektuelle Technik. Sie muss immer wieder aufs Neue angewendet werden, in jeder neuen Krise, durch verstandesgeleitetes und systematisches Tun. Die Methode ist eine der Selbstbehauptung, der Selbstermächtigung gegenüber der kulturell bedingten Tabuisierung des Scheiterns und der Gescheiterten. Das Handwerkszeug dazu kann hoffentlich mein Buch „Gescheit scheitern“ geben.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Buch „Gescheit scheitern“ zu schreiben? Welche Zielgruppe sprechen Sie an?

Arnet: Das Thema Scheitern habe ich zunächst mit meinem Vortrag „Wie ein Koffer ohne Griff“ bearbeitet. Schnell wurde mir durch die Reaktionen aus dem Publikum klar, dass es Bedarf gibt für eine Publikation, die anders als die vorhandene Literatur nicht als Fachbuch angelegt ist, sondern sehr praktisch und konkret Hilfestellung gibt, quasi ein handlicher Begleiter. Früher hätte man das ein Vademecum genannt.

Die Zielgruppe ist wie auch das Konzept meines Speeches ziemlich breit. Ich will lieber „general public“ damit erreichen, als eine kleine Special-Interest-Gemeinde. Denn Scheitern passiert – täglich, stündlich, jedem. Es ist ein Alltagsphänomen und gehört zum Leben wie Atmen, Essen und Schlafen.

Sie selbst sind seit über 25 Jahren Unternehmer mit Leidenschaft und haben alle Höhenflüge und Niederlagen erlebt. Was war Ihr extremster Tiefpunkt und wie haben Sie es geschafft, ihre Niederlage in einen Sieg zu verwandeln?

Arnet: Eine Krise kommt selten allein, leider. Der geschäftliche und finanzielle Tiefpunkt war die Insolvenz und Abwicklung meiner mehrfach preisgekrönten Werbeagentur. Kurz darauf scheiterte dann auch meine damalige Beziehung. Die seelische Belastung und das hohe Arbeitspensum brauchten selbstverständlich Ausgleich.

Leider suchte ich Auszeiten vom Stress statt wie früher im Sport zunehmend bei Rotwein oder ganzen Wochenenden im Bademantel am Computer daddelnd, womit ich auch noch meine körperliche Gesundheit riskierte. Meine Niederlage mit der Werbeagentur ist eine Niederlage geblieben, Punkt. Das ist passé.

Radikale Akzeptanz ist Voraussetzung für den Neustart. Das habe ich gleich verstanden und auch beherzigt. Ich habe mich verantwortungsvoll verhalten, keine verbrannte Erde zurückgelassen, Schulden bezahlt, Mitarbeitern in neue Anstellungen verholfen und meinen Frieden gemacht. Ich hadere nicht und zürne niemandem.

Der Neustart bzw. dessen Zielbestimmung war in meinem Fall ziemlich naheliegend. Glücklicherweise hatte ich bereits zu Zeiten, da die Agentur noch gut unterwegs war, mein Faible für das Coaching entdeckt und mich entsprechend ausbilden lassen, sogar schon meine Beratungsgesellschaft LATTAL gegründet. Ich hatte also, als die Tür bei der Agentur endgültig ins Schloss fiel, bereits eine neue Option.

Heute kann ich sagen, ich bin erfolgreicher und glücklicher denn je. Ich tue etwas, was ich sehr gut kann, was mich hundertprozentig fordert und jeden Tag immer wieder mit Freude erfüllt. Das konnte ich zu den Hochzeiten der Agentur nicht mehr sagen, trotz des vielen Geldes, das wir verdienten. Und sowieso nicht mehr, nachdem ein strategischer Wechsel stattgefunden hatte und eine neue Geschäftsführung an Bord war.

Mein Scheitern hat mich gezwungen, einen anderen Weg einzuschlagen und siehe da – er führte mich weiter voran. Und tut es noch! Die zusätzlichen Kilos aus der Insolvenzphase habe ich auch inzwischen wieder verloren. Die grauen Haare nicht, zum Glück. Und meine ‚Co-Pilotin’ ist heute meine Lebensgefährtin. Life is good!

Als Trainer und Coach haben Sie bisher mehr als 500 Führungskräfte beraten. Welche Coachings bieten Sie an? Was ist Ihr USP?

 Arnet: Persönliches Wachstum für Menschen ist meine Passion, Leadership mein Anspruch, Vertrauen meine Basis und individuelles Coaching mein Credo. Seit über 25 Jahren bin ich Unternehmer mit Leidenschaft, habe alle Höhenflüge und Niederlagen erlebt: Firmen gegründet, Unternehmungen verloren, Mitarbeiter gefördert, junge Menschen ausgebildet. Und zuletzt meine stärkste Fähigkeit zu meiner Berufung gemacht: Das persönliche Wachstum von Menschen zu fördern und diese Klienten eine Zeit lang auf ihrem Erfolgsweg zu begleiten. Ich biete klassisches systemisches Business Coaching, ohne großes Spektakel an.

 

 

Welche Themen stehen bei Ihrer Tätigkeit als Speaker im Fokus?

Arnet: Ich bin derzeit mit drei verschiedenen Speeches unterwegs. Neben dem bereits mehrfach erwähnten Vortrag über den Charme des Scheiterns unter dem Motto „Wie ein Koffer ohne Griff“ spreche ich über die Themen „Authentisch führen“ und „Frauen in Führung“.

Was sind die nächsten Ziele auf Ihrer Agenda?

Arnet: Beruflich die Weiterentwicklung meiner Firma in Richtung Organisationsentwicklung und Strategieberatung. Ich arbeite aktuell an meinen zwei nächsten Büchern, die bald im GABAL Verlag erscheinen werden. Eins mit dem Titel: „So kommen Frauen in Führung“ und ein ca. 250 Seiten dickes Buch mit dem Arbeitstitel: „Wage Mut“. Mal sehen, was mir da so alles einfällt.

Was ist Ihr persönlicher Sinn des Lebens?

Arnet: Mit dem Begriff „Sinn des Lebens“ habe ich so meine Schwierigkeiten und das nicht erst seit Monty Pythons Film unter diesem Titel. Ich würde sagen, es gibt keinen. Für mich gibt es nur eine Besinnung auf mein Handeln. Was wollen wir für uns selbst erreichen? Welche Fragen stellen wir uns für unser Leben? Wie können wir unser Leben sinnvoll gestalten, indem wir uns Wahrheitsfragen stellen: Wo soll ich hin? Was kann mein Beitrag für die Gesellschaft sein? Und dann … fail forward!

Das Interview führte Markus Hofelich. 

Weitere Informationen: www.felix-maria-arnet.de
Bilder: Felix Maria Arnet, Gabal Verlag, Pixabay, Unsplash

 

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