Interview mit Julia Kalmund und Nina Schmid: „Street Philosophy“

by Hofelich
Interview mit Julia Kalmund und Nina Schmid: „Street Philosophy“

Seit Ende 2014 betreiben Julia Kalmund und Nina Schmid die Marke „Street Philosophy“ als eingespieltes Mutter- und Tochter-Team gemeinsam. Was sie eint ist vor allem der Ansporn, qualitativ Hochwertiges alltagstauglich zu machen und inhaltlich Wertvolles mit Leichtigkeit und Street Style zu kombinieren. Im Interview sprechen Nina Schmid und Julia Kalmund über die Ziele von „Street Philosophy“, das Besondere an ihren Veranstaltungen, die Renaissance philosophischer Salons und über ihren persönlichen Sinn des Lebens.

Was hat Sie dazu bewogen, Street Philosophy ins Leben zu rufen? Welche Erfahrungen aus Ihrem bisherigen Berufsleben konnten Sie mit einbringen?

Kalmund: Seit 2003 veranstaltete ich bis zu zehnmal im Jahr einen privaten Salon – Room-For-Thought. Es ging um viele verschiedene und des Öfteren um philosophische Themen. Es entstand eine sehr fruchtbare Atmosphäre, und mir wurde klar, dass Philosophie in den Alltag gehört. In ihr hat man die Möglichkeit Antworten zu sehr aktuellen, manchmal sehr persönlichen Fragen zu finden.

Man hat aber auch die Möglichkeit zu lernen, dass es nicht auf alles eine Antwort gibt. Die Erfahrungen durch den Salon und meine Zeit in London haben mich ermutigt die Idee des Salons, und die Beschäftigung mit der Philosophie „auf die Straße“ zu bringen, um es mehr Menschen zu ermöglichen daran teilzunehmen.

Welche Philosophie, welches Ziel steckt dahinter? Was ist Ihr USP?

Kalmund: Als wir 2014 gestartet sind, gab es in England bereits über 2000 Philosophie Clubs, die eine „Philosophy for Life“ zum Zweck hatten. In Deutschland gab es damals praktisch nichts annähernd Äquivalentes. Seit einiger Zeit gibt es auch hierzulande philosophische Praxen und Vereine. Die Weisheit großer und weniger bekannter Philosophen so zu vermitteln, dass ihre Erkenntnisse uns helfen, unseren Alltag besser zu gestalten, bleibt unser USP.

Schmid: Ich würde anfügen, dass die meisten anderen Veranstaltungen entweder in die Breite gehen oder in die Tiefe. Uns ist es gelungen ein Angebot zu erstellen, was sowohl in die Breite als auch in die Tiefe geht – wir verbinden die Weisheit der Philosophie mit der Schönheit der Welt. Damit sind wir ziemlich einzigartig in unserem Angebot!

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Seit 2014 betreiben Sie Street Philosophy gemeinsam. Wie kam es dazu? Wie sieht Ihre Arbeitsteilung aus?

Kalmund: Nach einigen Jahren, in denen wir keinen Kontakt hatten, war es unser gemeinsames Interesse an philosophische Themen, und die Erkenntnisse, die wir gewonnen hatten, die eine Annäherung erleichtert haben. Wir wussten, dass wir unterschiedliche Eigenschaften und Schwerpunkte mitbringen, und dass wir uns gut ergänzen werden. Es war ein gewisses Risiko, das aber große Chancen geboten hat.

Wir haben keine genau niedergeschriebene Arbeitsteilung. Wir arbeiten gemeinsam von unterschiedlichen Seiten an unserer gemeinsamen Vision. Nina ist eine sehr talentierte und mitreißende Rednerin und Moderatorin. Sie ist Architektin und arbeitet international als High Performance Coach. Ich agiere lieber im Hintergrund und bin eine gute Netzwerkerin, die Kontakte macht und pflegt und ich bin für die Gesamtorganisation zuständig.

 

Julia Kalmund

 

Können Sie derzeit generell eine Renaissance philosophischer Salons feststellen? Welche Gründe stehen Ihrer Meinung nach hinter dem steigenden Interesse der Menschen an lebensnaher Philosophie?

Schmid: Es ist durchaus so, dass auch in Deutschland die Philosophie nun Einzug gehalten hat – in England und Frankreich war das schon eher immer üblich. Die Menschen erkennen nach und nach, dass die Themen und Fragen, die uns beschäftigen und zum Teil quälen genau die sind, die auch vor 2.000 Jahren schon relevant waren:

  • „Wer bin ich?“
  • „Wie soll ich leben?“
  • „Was ist der Sinn?“
  • „Was ist Wahrheit?“
  • „Was heißt es gut zu sein?“

Die Philosophie regt dazu an, der eigenen Wahrheit näher zu kommen durch kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Eigenwelt. Dies tut gut in einer Welt, die immer lauter wird und in der so viele marktschreierisch vorgeben, die Antwort parat zu haben.

Der Schwerpunkt Ihrer Aktivitäten liegt auf Veranstaltungen. Wie sieht Ihr Angebot aus, welche Themen stehen im Vordergrund und welche Zielgruppe sprechen Sie vor allem an?

Schmid: Wir greifen Themen auf, die für uns selbst relevant erscheinen. Daher haben wir uns bei unserer ersten Konferenz mit dem Thema Ethik befasst. Für uns war es und ist es immer noch grundlegend wichtig, dass wir uns als Gesellschaft mit diesem Begriff auseinandersetzen und prüfen, auf welchen Werten wir unser Denken und Handeln in dieser Welt aufbauen.

Unsere zweite Konferenz war dem Thema Bildung gewidmet. Auch hier wieder ein für unsere Gesellschaft so wichtiges Thema – und zwar Bildung im allgemeinen Sinne: Menschenbildung.

Unsere kleineren Talks und Workshops haben als Thema oft eine Fragestellung, z.B. „Was ist Glück?“. Gerne nehmen wir aber auch das Thema Kunst mit dazu, da in der Kunst viele philosophische Fragestellungen aufgeworfen werden. Wir kombinieren sehr gerne Führungen durch aktuelle Ausstellungen, mit anschließender philosophischer Diskussion.

Wir sprechen damit Menschen an, die bereit sind Verantwortung für ihr eigenes Leben und ihr eigenes Glück zu übernehmen. Menschen die keine Opfer ihrer Umstände sind, sondern die bereit sind Ungewissheit auszuhalten, auf der Suche nach ihrer eigenen Wahrheit. Menschen die bereit sind, durch ihre eigene tiefere Suche nach dem Sinn, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, einen Beitrag zu leisten.

Zu Ihren Flagship-Events zählen die Veranstaltungen der „Beyond-Reihe“, die bereits zweimal stattgefunden haben. Was zeichnet diese aus?

Schmid: Das was die Philosophie macht, ist dass sie Fragestellungen aufwirft die über das normale Verständnis, über die übliche Definition hinausgeht. Daher das Wort „Beyond“. So hieß unsere Ethikkonferenz „Beyond Good“, und unsere Bildungskonferenz „Beyond Knowledge“. Es geht uns darum das Feld zu öffnen, frei denken zu können, ohne vorgefertigte Antworten zu haben. Genau das bieten wir mit unseren Konferenzen an.

Wir laden hochkarätige „Thoughtleader“, sogenannte „Vordenker“ auf unsere Bühne ein, Menschen die sich auszeichnen dadurch, dass sie Themen mit mehr Tiefe durchdringen als die meisten Anderen. Menschen die es uns ermöglichen einen Perspektivwechsel zu vollziehen, neu in Frage zu stellen und dadurch Abstand und Freiheit zu gewinnen.

Wir geben nicht vor Antworten oder Lösungen zu haben, doch unsere Redner – eine Mischung aus „Alten Weisen“ wie Richard David Precht, Harald Lesch, Julian Nida-Rümelin und „Jungen Wilden“ wie die Philosophin Ariadne von Schirach oder die Fotojournalistin Julia Leeb – nehmen uns mit auf eine Gedankenreise, die es uns ermöglicht, unsere Werte zu überprüfen und unserer eigenen Wahrheit ein Stück näher zu kommen.

Highlight für mich bei unserer diesjährigen Bildungskonferenz war, dass alle Denker bei der Frage nach dem eigentlichen Bildungsziel, menschliche Grundwerte wie Mitgefühl, Bindung, Freiheit, Achtsamkeit nannten. Das zeigt mir sowohl unsere Sehnsucht auf, in einer Welt die sich inzwischen fast nur noch mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen scheint, und gleichzeitig schenkt es mir ein Gefühl von tiefem Vertrauen in uns Menschen.

Mit „Beyond Ideology“, unserer Zukunftskonferenz in 2020, öffnen wir das Feld noch weiter. Es ist jedes Mal auch für uns ein Abenteuer und unsere Art der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

 

Nina Schmid als Moderatorin

 

Am 24. Mai 2019 findet in Kufstein ein Glücks-Workshop statt. Was erwartet die Teilnehmer?

Schmid: Auch bei diesem Workshop möchten wir die übliche Denkweise in Frage stellen. Wir Menschen gehen oft ungefragt davon aus, dass wir uns im Leben entscheiden müssen: Entweder Erfolg im Beruf oder Glück in der Familie als grundlegendes Beispiel.

Doch warum sollte man nicht Erfolg, Gesundheit, Zufriedenheit, gute Beziehungen, finanzielle Unabhängigkeit, Freiheit miteinander kombinieren können? In diesem Workshop geht es um grundlegende philosophische Fragestellungen auf der Suche nach dem eigenen guten Leben.

Und gleichzeitig um praktische Übungen, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der positiven Psychologie und Neurowissenschaften basieren, sodass eine unmittelbare Umsetzung im Alltag erfolgen kann, und somit das persönliche Glücksgefühl durch Selbstwirksamkeit massiv ansteigt.

Welches philosophische Glückskonzept spricht Sie am meisten an?

Schmid: Glück ist ein Thema, mit dem sich sowohl die östliche Philosophie, als auch die klassische westliche Philosophie im Ursprung auseinandersetzt. Das ist für uns Menschen eng verbunden mit der Frage nach dem Sinn. Und dieses Streben nach Glück (Eudaimonia) ist in allen Menschen verankert.

Meine Mutter und ich haben beide ein gewisses Faible für die Stoa. Eine hohe Kunst, die einem aber unendlich viel Kraft geben kann, in einer Welt, die zum Teil aus den Angeln gesprengt zu werden scheint. Seneca zu lesen beschert mir auf jeden Fall Glücksgefühle! Ich persönlich bin aber auch sehr inspiriert von Thich Nhat Hanh und liebe sein Buch „This moment is full of wonders“.

Was ist für Sie persönlich der Sinn des Lebens? Was treibt Sie an?

Kalmund/Schmid: Auf Englisch würde ich, Julia, an dieser Stelle sagen wollen: „To live to the full“ – das ist der Sinn des Lebens für mich und das treibt mich an. Das mag zunächst banal klingen, ist aber nicht banal. Für mich bedeutet es bewusst zu leben, in guten Zeiten und in schlechten Zeiten „bei mir“ zu bleiben. Meinen Werten die Treue halten, nicht hadern, dankbar sein, das Schöne und das Gute wahrzunehmen. Die Schmerzen und das Ungute ertragen zu können, Freundschaften pflegen. Die Größe zu haben über meinen Schatten zu springen, über mich selbst hinauszuwachsen. Zu vergeben, bescheiden zu bleiben und zu lieben, was das Zeug hält, bis zu meinem letzten Atemzug.

Weitere Informationen unter: www.street-philosophy.de
Bilder: Street Philosophy

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