Interview mit Sylvia Harke: „Hochsensibel – Was tun?“

by Hofelich
sylvia harke hochsensibel was tun

Viele Menschen sind empfindlicher und verletzlicher als der Durchschnitt, sie fühlen sich häufig von anderen missverstanden oder nicht richtig wahrgenommen. Schätzungen zufolge sind etwa 15 bis 20 % der Bevölkerung hochsensibel. Sensitive spüren in ihrem Herzen auch die Sehnsucht, das Schöne, Gute und Sinn in die Welt zu bringen, sind kreativ, feinfühlig und tiefgründig. Wenn sie sich in ihrer Wesensart erkennen und annehmen, können Hochsensible Erfolg, Glück, Zufriedenheit und Flow erfahren. Die Diplom-Psychologin und Bestseller-Autorin Sylvia Harke hat 2014 ein vielbeachtetes Buch geschrieben: „Hochsensibel – Was tun? Der innere Kompass zu Wohlbefinden und Glück“. Im Interview mit SinndesLebens24.de spricht sie über Erfolgsblockaden hochsensibler Menschen und zeigt Lösungswege in Beruf und Partnerschaft auf. Außerdem gibt sie Einblicke in ihr Leben, wie sie ihre eigene Hochsensibilität in den Griff bekommen und das Beste daraus gemacht hat.

Frau Harke, was genau ist Hochsensibilität und wie erkenne ich, ob ich zur Gruppe der „Highly Sensitive Persons“ (HSP) gehöre?

Harke: Nach Dr. Elaine Aron, Pionierin auf dem neuen Forschungszweig in der Psychologie, zeichnet sich Hochsensibilität durch folgende vier Hauptmerkmale aus:

1. Gründliche Informationsverarbeitung

  • genaues Denken, Neigung zum Philosophieren,
  • eine ausgeprägte Beobachtungsgabe,
  • Tiefgründigkeit,
  • Gerechtigkeitssinn,
  • Wahrnehmung von kleinsten Details und Veränderungen,
  • Neigung zum Grübeln,
  • Betrachtung eines Sachverhaltes aus verschiedenen Perspektiven,
  • Perfektionsstreben,
  • Ausgeprägtes kreatives und analytisches Denken
  • Intuition und der 7. Sinn
  • Blick für Harmonie in Farben und Formen (Wohnungseinrichtung, Kunst)
  • Entscheidungsschwierigkeiten
  • Gehemmtheit

2. Tendenz zur Übererregung / Überstimulation

  • Schnelle Aktivierung des vegetativen Nervensystems und dazugehöriger Stresssymptome
  • Starke Reaktionen auf Stimulanzien wie Kaffee, Tee oder Drogen
  • Neigung zu Aufregung und Prüfungsängsten bei öffentlichen Auftritten (erhöhte Herzfrequenz, Schweißhände, flacher Atem)
  • Aufregung bei Veränderungen

3. Ein intensives Gefühlsleben

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  • Positive wie negative Gefühle werden stark empfunden
  • Empathie und Einfühlungsvermögen für Mensch und Tier
  • Nah am Wasser gebaut
  • Beeinflussbarkeit durch emotionale Stimmungen anderer Menschen
  • Intensives Traumleben, Interesse an Spiritualität

4. Sensorische Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen

  • Lärm- und Lichtempfindlichkeit
  • Starke Reaktion auf Medikamente
  • Unwohlgefühl bei Menschenmassen
  • Neigung zu Kontaktallergien

Hochsensibilität ist eine Persönlichkeitsveranlagung und keine Krankheit. Elaine Aron beschreibt Hochsensibilität in ihren Veröffentlichungen als Temperament und knüpft damit an die Jahrtausende alte, europäische Temperamentenlehre an. Leider wird dies selbst von deutschsprachigen Psychologen immer wieder in Frage gestellt, obwohl es verschiedene Forschungsergebnisse gibt, die genau das bestätigen. Da ich selbst hochsensibel bin und in meiner Privatpraxis ausschließlich mit Hochsensiblen Klienten arbeite, kann ich mit Gewissheit sagen, dass dieses Konzept absolut praxistauglich ist.

Wie erklären Sie sich die vielen Vorurteile zur Hochsensibilität?

Harke: Wenn wir in Deutschland von „hochsensibel“ sprechen, assoziieren die Leute „emotionale Labilität“ und „Depression“. Sofort entsteht ein falscher Eindruck. Es geht sogar so weit, dass Betroffene sich gar nicht erkennen, weil sie falsche Vor-Stellungen von dem Phänomen haben. Doch damit tappen sie völlig im Dunkeln! Lassen Sie mich deshalb etwas Licht in die vorherrschende Begriffs-Verwirrung bringen. Anhand der englischen Bezeichnung „highly sensitive“ und der deutschen Übersetzung „hochsensibel“ können Sie vielleicht schon eine Diskrepanz erkennen. Die US-amerikanische Psychologin Dr. Elaine Aron prägte schon in den 90-er Jahren den Begriff „highly sensitive“. Gemeinsam mit Ihrem Ehemann Arthur Aron und anderen Wissenschaftlern führt sie bis heute bahnbrechende Untersuchen an Universitäten durch.

Die Bezeichnung „highly sensitive“ leitet sich von den feinen Sinnen ab. Aron beschreibt die Wahrnehmungsgabe Hochsensibler als „Sensory Processing Sensitivity“. Das ließe sich im Deutschen mit „Sensorischer Verarbeitungs-Sensitivität“ übersetzen. Durch Interviews und Fragebögen entwickelte sie an der Universität von Kalifornien die sogenannte „HSP-Skala“, einen Test, mit dem man Hochsensibilität durch Fragen einschätzen kann. Der Test ist online auch auf Deutsch zu finden. Ich persönlich halte die Bezeichnung „Hochsensibilität“ mittlerweile nicht mehr für die ideale Übersetzung. Daher möchte ich gern folgende Bezeichnungen anbieten:

  • Wahrnehmungsbegabung
  • Feinsinnigkeit
  • Feinfühligkeit
  • hoch wahrnehmungsfähig
  • Hochsensitivität

Beim letztgenannten Begriff, der für mich die bessere Übersetzung wäre, haben einige Experten in Europa dafür gesorgt, dass er übersinnliche Wahrnehmungen beschreiben soll. Elaine Aron selbst hat solche Unterscheidungen in den Begrifflichkeiten nie vorgenommen. Dennoch war die Frage nach religiösen und spirituellen Lebenserfahrungen immer Teil der explorativen Untersuchung. In ihrem Buch „Hochsensible in der Psychotherapie“ schreibt Aron, dass 99 % aller Befragten ein Interesse an Spiritualität hatten. Viele berichteten sogar von mystischen Erlebnissen. Viele HSP berichten von einer ausgeprägten Intuition, Vorahnungen und telepathischen Phänomenen.

Ich selbst erlebe dies während der Coaching Termine, wenn ich sehr schnell erspüren und benennen kann, was hinter so manchem Problem meiner Klienten steckt. Es ist wie eine schnelle Datenverarbeitung auf unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen. Weil die Hirnforschung für Phänomene wie Intuition lange Zeit keine Erklärung hatte, fielen diese real existierenden Vorgänge in den Bereich der Esoterik: zu Unrecht.

Welche Vorzüge und Nachteile bringt Hochsensibilität mit sich?

Harke: Der Vorteil in der hochsensiblen Veranlagung liegt klar darin, das Leben und seine Umwelt intensiver und vielschichtiger wahrzunehmen. Sie streben nach Harmonie, sind zart besaitet, reagieren auf feinste Reize und engagieren sich gern für Tiere und Umweltschutz. Eine HSP erlebt einen Gefühlsreichtum, der durch Filme, Bücher, Musik, Kunst und Naturerlebnisse angeregt wird. Die Sinne laufen auf Hochtouren. Viele Künstler, Musiker, Schauspieler und Philosophen sind definitiv hochsensibel und können aufgrund ihrer detaillierten Wahrnehmung brillante Leistungen vollbringen.

Hochsensible empfinden eine mystische Naturverbundenheit. Schon in früheren Zeiten, als unsere Kultur noch nicht so technisiert lebte, brachten sensitive Künstler ihre Beobachtungen durch feinsinnige Gemälde, Gedichte und Musikkompositionen zum Ausdruck. Auch heute suchen hochsensitive Menschen Naturoasen, um sich zu regenerieren und um intensives Glück zu erfahren. Deshalb ist es absolut falsch, Hochsensibilität mit Depression zu verwechseln. Ein weiteres Feld, das sehr gern von Hochsensitiven belebt wird, ist die Heilkunst. Hochsensible können auf eine erweiterte und sehr feine Wahrnehmung bauen. Dies macht sie zu scharfsinnigen Psychotherapeuten, feinfühligen Heilpraktikern oder Physiotherapeuten. Das Gespür für Menschen ist sehr ausgeprägt und verhilft zu Hilfsbereitschaft und Empathie.

 Naturgemäß gibt es im Prinzip keine Nachteile in der Hochsensibilität, denn auch Tiere haben diese Veranlagung und erfüllen mit ihrer Wahrnehmungsgabe besondere Aufgaben. Sie warnen ihr Rudel vor Gefahren, weil sie ihr Umfeld besonders genau und intensiv beobachten. Doch auf uns „zivilisierte“ Menschen lässt sich das leider nicht pauschal übertragen. In unserer hektischen, hochtechnisierten Industriegesellschaft gibt es viele Stressquellen, die Hochsensible belasten. Überfüllte U-Bahnen in Großstädten, Verkehrslärm, Menschenmassen, Großraumbüros, Umweltgifte: all diese Faktoren wirken auf HSP schneller und deutlich negativer. Während andere Menschen sich noch wohlfühlen, kann für Hochsensible schon die Grenze des Erträglichen überschritten sein.

Bei Vielen ist das Selbstwertgefühl angeknackst, da sie ein Leben lang mit dem Gefühl kämpfen, nicht richtig zu sein. Dies betrifft ganz besonders die Generation 50+, die noch durch militärische Strenge erzogen wurde. Auch Nachfolgegenerationen haben ihr Päckchen zu tragen. Sie wurden als „Mimosen“, „Weicheier“, „Spinner“, usw. abgestempelt.

 

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Gibt es Ursachen für die Hochsensibilität? Ist sie eher angeboren oder durch die Umwelt beeinflusst?

Harke: Dieser Punkt ist bei den Forschern umstritten. Elaine Aron und andere Wissenschaftler gehen definitiv von einer vererbten Veranlagung aus. Ich sehe das auch so. Tatsächlich lassen sich in den meisten Familien mit hochsensiblen Kindern ebensolche Elternteile oder Großeltern ausfindig machen. Die Annahme, Hochsensibilität entwickle sich nur durch Traumata, ist nicht richtig. In ihrem Buch „Hochsensible in der Psychotherapie“ weist Aron deutlich darauf hin, dass in ihren Untersuchungen Hochsensible identifiziert wurden, die eine gute Kindheit hatten. Sie sind als Erwachsene erfolgreicher im Beruf und glücklich im Leben.

Unser Nervensystem verändert sich durch Umwelteinflüsse. Deshalb ist die Veranlagung nur die halbe Miete. Früher Stress, Gewalt, Trennung der Eltern oder unsichere Lebensbedingungen in der Kindheit können zu einer chronischen Alarmbereitschaft des vegetativen Nervensystems führen. Dies kann sich später im Erwachsenenalter als erhöhte Anfälligkeit für Panikattacken, Stresserkrankungen und Grübeleien auswirken. Dies zeigt sich zum Beispiel in Form von Ängsten, Allergien – und in schweren Fällen als chronisches Erschöpfungssyndrom.

Wenn ein Kind zum Beispiel immer Angst haben muss, wenn die Mutter oder der Vater nach Hause kommt, weil es häufig geschlagen wird, kann es nie richtig entspannen oder gar vertrauen. Es muss ständig auf Hab-Acht-Stellung sein. Viele Kinder entwickeln in solchen Konstellationen geradezu hellseherische Fähigkeiten, weil sie schmerzhaft versuchen, Ärger und Aggressionen um jedem Preis aus dem Weg zu gehen. Da dies natürlich nicht gelingen kann, bleibt der innere Alarm auch im Erwachsenenalter aktiv. Für die Psychotherapie ist es von entscheidender Bedeutung, solche Lebensereignisse zu berücksichtigen.

Sie sind selbst hochsensibel. Wann und wie wurde Ihnen das bewusst?

Harke: Schon als Kind empfand ich eine tiefe Naturverbundenheit. Dies zeigte sich in meinem überdurchschnittlichen Interesse an Pflanzen, Bäumen und Tieren. Als ich den Film „Der Mann, der Bäume pflanzte“ mit zwölf gesehen hatte, begann ich sofort, Bäume aus Samen heranzuziehen, um sie später im Garten oder in der Natur auszupflanzen. Ich machte Versuche mit Rubinen, Trompetenbäumen, Ahorn und Buchen. Wenn ich heute in den Garten meines verstorbenen Großvaters komme, bestaune ich immer wieder, wie „meine“ Bäume immer größer werden. Als Schülerin in der Oberstufe war ich sehr scheu und in mich gekehrt. Ich fing schon als Jugendliche mit dem Schreiben an und produzierte tiefschürfende Gedichte und Kurzgeschichten.

Durch frühe Verluste stellte ich mir schon in der Kindheit die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ich fragte mich, warum wir leben und was nach dem Tod mit uns geschehen würde. Meine Eltern trennten sich, als ich drei Jahre alt war und meine geliebte Großmutter starb, als ich 13 war. Da ich in der DDR aufwuchs, hatten wir wenige Berührungspunkte mit Spiritualität. Meine Familie ging nicht zur Kirche und generell galt damals Religion als „Opium für das Volk“. Doch im Angesicht fundamentaler Verluste konnte ich als hochsensibles Kind nicht einfach wieder zur Tagesordnung zurückkehren, sondern begann – altersuntypisch – viele Bücher über den Sinn des Lebens, Spiritualität, Reinkarnation und das Leben nach dem Tod zu lesen. Das war im Jahr 1991, als wir endlich Zugang zu der entsprechenden Literatur hatten. Ich spürte, dass es etwas Größeres geben musste und dass wir kein Produkt des Zufalls sind. Dieses Gefühl hat mich bis heute begleitet und gibt mir in Krisen die Kraft zum Weitermachen.

Mit dem Fachbegriff der Hochsensibilität wurde ich erst 2008 durch ein Buch konfrontiert, wenngleich mich meine Familie schon immer als besonders sensibel wahrgenommen hat. Durch das einfache Lesen fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Mich ließ das Thema nicht mehr los. Weil ich noch so viele Lücken in der vorhandenen Literatur entdeckte, nahm ich mir im Jahr 2012 vor, ein eigenes Praxisbuch mit vielen Übungen zu schreiben, das sich seit 2014 zu einem Klassiker und Publikumsmagneten entwickelt hat. 2016 veröffentlichte ich mein zweites Buch „Hochsensibel ist mehr als zart besaitet, die 100 häufigsten Fragen und Antworten“.

Wie haben Sie persönlich Ihre Hochsensibilität in den Griff bekommen? Wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?

Harke: Es gab nichts in den „Griff zu bekommen“. Ich habe zeitgleich mit der Selbsterkenntnis Frieden mit mir geschlossen. Für uns Hochsensible ist es am wichtigsten, das eigene Naturell anzunehmen. Sobald wir aufhören, gegen unser Temperament anzukämpfen, haben wir Zugang zur inneren Stimme, die sagt, was gut für uns ist. In meinen Beratungen erlebe ich, dass nur Selbstakzeptanz zu wirklicher Freiheit führt.

Für mich wurde im Laufe der Zeit immer klarer, wie ich leben und arbeiten möchte. Mir wurde bewusst, welche meiner Stärken die Basis für meinen Erfolg sind. Ich wusste, dass ich früher oder später freiberuflich arbeiten wollte. Das Schreiben macht mir Spaß, dieses Talent zeigte sich schon in der Schule. So war es für mich klar, dass ich damit Geld verdienen kann. Genau das habe ich seit 2012 kontinuierlich umgesetzt. Als Schriftstellerin erlebe ich wohltuende Rückzugsphasen, in denen ich weniger Kontakt zur Außenwelt habe. Dies ist ein wunderbarer Ausgleich für meine Berufstätigkeit als Psychologin und Coach. Ich erlebe diesen Wechsel wie ein schwingendes Pendel. Dabei bewege ich mich einerseits intensiv auf andere Menschen zu, tauche in ihre Lebenswelt ein und dann tauche ich wieder auf: zurück in meine eigene Welt. Seit einigen Jahren experimentiere ich damit, wie ich meinen Lebensstil an meine Bedürfnisse anpasse und das tut mir richtig gut.

Ein weiterer Durchbruch war für mich die Integration meines inneren Kindes durch Körpertherapie. Ich lernte, meine Gefühle wie Trauer, Liebe, Wut und Sehnsucht nicht länger zu unterdrücken. Wenn wir die Angst vor unseren Gefühlen verlieren, gewinnen wir eine Menge Selbstvertrauen und Zuversicht ins Leben. So können wir aus Konditionierungen aussteigen und ein erfülltes Leben kreieren. An Grenzen stoße ich beim Thema Lärm. Wenn ich in die Stadt gehe, trage ich seit zwei Jahren regelmäßig Gehörschutz. Das erleichtert mich enorm.

 

Sylvia Harke

 

Können HSP glücklich werden?

Harke: Absolut ja, wenn sie ihren Lebensstil nach ihrem eigenen Naturell ausrichten. Für manche Leser baut sich bei dieser Frage sicherlich die Hoffnung auf, Tipps für die Lösung ihrer eigenen Probleme zu bekommen. Dabei verstecken sich unter dem Label „Hochsensibilität“ häufig konkrete Beschwerden, wie zum Beispiel Ängste. Wenn es darum geht, störende Einschränkungen zu überwinden, ist es zunächst wichtig, ehrlich mit sich selbst zu sein. Wenn wir die Hochsensibilität nicht als Entschuldigung für unsere persönlichen Macken und Schwierigkeiten hernehmen, haben wir die Chance, das Kind beim Namen zu nennen. Deshalb möchte ich die Leser ermutigen, ihre Baustellen konkret auf den Punkt zu bringen. Dies gilt insbesondere für Schwierigkeiten in Beziehungen.

Ich denke, es gibt vier wesentliche Punkte, die Hochsensilbe helfen, mit dem Leben und ihrer Veranlagung besser klarzukommen:

  • Das regelmäßige Praktizieren von Entspannungsverfahren
  • Die therapeutische Arbeit mit tiefen Emotionen und Gefühlen
  • Abgrenzung trainieren
  • Ängste abbauen: wenn es sein muss, mit Hilfe eines Coaches oder Therapeuten: durch Gespräche, Gruppenerfahrung, NLP, Hypnose, EFT usw.

Wirkt sich die Hochsensibilität bei Männern und Frauen unterschiedlich aus?

Harke: Die Begabungen und Herausforderungen der Hochsensibilität sind bei Männern und Frauen von der Natur aus gleichwertig angelegt. Doch aufgrund unserer gesellschaftlichen Konditionierungen haben es Männer natürlich schwerer, ihre Sensibilität im Beruf und privat zu zeigen. Sie melden sich in meiner Praxis häufiger mit „Burnout“, weil sie nie gelernt haben, ihre Ressourcen zu schützen. Sie verausgaben sich auf dem falschen Parkett, um dann endgültig zusammenzubrechen. Deshalb ist es für Männer enorm wichtig, sich ihre eigenen Bedürfnisse ehrlich einzugestehen, anstatt einem Ideal vom starken Mann hinterherzurennen. Die Berufswahl oder die Berufstätigkeit muss hinterfragt werden. In vielen Fällen harren hochsensible Männer in Konstellationen aus, die ihnen schaden. Doch die Scham und die Angst „zu versagen“, ist oft so groß, dass Veränderungen schon im Keim unterdrückt werden. Der Preis für dieses Versteckspiel ist hoch. 

Welche speziellen Herausforderungen ergeben sich in Beziehungen und wie kann man diese am besten lösen?

Harke: Viele Hochsensible haben sich angewöhnt, sich ihrer Umwelt übermäßig anzupassen. Dabei gehen sie weit über ihre eigenen Grenzen hinaus. Das erzeugt Probleme. Wenn wir nicht mehr spüren, was wir selbst wollen oder wo wir uns ausbeuten lassen, entsteht ein Ungleichgewicht. Stress, Selbstaufgabe und die Angewohnheit, sich als Energietankstelle für Jammerer zur Verfügung zu stellen, laugen Hochsensible aus. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die Hochsensible brauchen, um glücklich und erfolgreich zu leben, ist „Nein-Sagen“ lernen. Abgrenzung ist das große Thema. Wenn wir nicht mehr als Mülleimer oder Gruppenstabilisator zur Verfügung stehen, werden Kräfte frei, die wir für die Verwirklichung unserer eigenen Ziele brauchen. Dies gilt im Übrigen auch für die eigene Familie.

Hochsensible sind treue und zuverlässige Seelen. Wer sie als Freund gewinnt, kann sich glücklich schätzen. In Freundschaften und Beziehung mit weniger sensiblen Menschen gilt nur eine Regel: Rücksichtnahme. Wenn auf die Bedürfnisse des Hochsensiblen eingegangen wird, fühlt er sich wertgeschätzt. Wenn eine HSP bei einem Besuch bei Freunden ist und darum bittet, dass das Radio leiser gestellt wird, ist es eine wunderbare Geste des anderen, wenn er darauf eingeht. Das reicht schon. Denn Rücksichtnahme hat etwas mit Respekt zu tun. Wenn das Umfeld achtsam und wertschätzend mit Hochsensiblen umgeht, steht einer tiefen Freundschaft nichts im Wege.

Hochsensible, deren Umfeld respektlos ist, erleben Kummer und Sorge. Sie brauchen eine große Portion Selbstfürsorge und innere Stärke, um sich aus solchen Konstellationen zu lösen. Ein weiteres Thema ist Einsamkeit. Aufgrund des großen Rückzugsbedürfnisses kann es geschehen, dass HSP sich von Freunden und Kollegen distanzieren. Wenn das vom Umfeld als Ablehnung interpretiert wird, werden sich auch die anderen weniger häufig melden. Um aus Phasen der Isolation auszubrechen, brauchen hochsensible Menschen Mut, offen auf Menschen zuzugehen. Doch genau das fällt den meisten eher schwer.

Viele Hochsensible sind eher schüchtern und introvertiert. Welche Rolle spielt das im Berufsleben? Was sind die höchsten Hürden im Job und wie kann man sie überwinden?

Harke: Hochsensible haben die Angewohnheit, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Viele ihrer überragenden Begabungen sind ihnen nicht bewusst. Ihr Blick für Details ist überdurchschnittlich. Ihre Menschenkenntnis und Empathie sind stark ausgeprägt. Auch künstlerische Begabungen erfordern, dass wir uns zeigen und öffnen. Doch für introvertierte hochsensible Personen stellt dies eine große Hürde dar. In Wettbewerbssituationen scheuen sie vorschnell zurück, denn aggressive Konkurrenz und Selbstbeweihräucherung sind ihnen fremd. So werden ihre Qualitäten in Vorstellungsgesprächen oder später im Arbeitsteam leicht übersehen. Um sich ihrer Begabungen bewusst zu werden, brauchen hochsensible Menschen Feedback. Wenn dieses nicht aktiv kommt, rate ich dazu, sich dieses aktiv einzuholen. Aus Angst vor Beschämung und dem überaktiven inneren Kritiker scheuen viele HSP davor zurück.

Hochsensible brauchen einen Mentor oder eine Mentorin, die sie in wichtigen Lebensphasen wertschätzend unterstützt. Dies geht schon bei der Berufswahl los. Oftmals haben Eltern ganz andere Vorstellungen davon, welchen Weg ihr Sprössling einschlagen soll. Nur selten finden Hochsensible Unterstützung bei ihren Berufswünschen. Da sie sehr begabt in künstlerischen und therapeutischen Berufen sind, kommen meist Widerstände von Seiten der Eltern. Denn Kunst ist ja in den Augen vieler Menschen „brotlos“, auch der Beruf des Psychologen ist den meisten suspekt. Jugendliche, die sich hier wiederfinden, brauchen dringend Unterstützung von einer neutralen Person. Wenn es später um berufliche Veränderungen geht, weil man aus einem Job / Berufsbild aussteigen will, das so gar nicht passt, ist die Hilfe eines Coaches empfehlenswert. Denn große Veränderungen rufen bei Hochsensiblen Existenzängste und Alarm aus. Sie streben stark nach Sicherheit. Doch das Ausharren in unguten, aber sicheren Jobs schadet Hochsensiblen mehr als der Sprung ins Neue.

 

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Mit dem Beruf verbringen wir den Großteil unserer Lebenszeit. Welche Tipps und Empfehlungen geben Sie HSP, um ihre Berufung zu finden oder einen Job, der besser zu ihnen passt?

Harke: Eine gründliche Selbstreflexion kann Wunder bewirken. Hochsensible sollten sich ihrer Begabungen und Talente vollumfassend bewusst werden. Es nutzt nichts, seinen Beruf auf einem Kompromiss aufzubauen. Oftmals brauchen wir für diese Erkenntnis ein Gegenüber. Professionelle Coaches arbeiten gern mit Methoden zur Persönlichkeitsanalyse. Es ist wichtig, den Begabungsschwerpunkt zu ermitteln. Ich selbst habe bei HSP folgende Aspekte immer wieder beobachtet:

  • Künstlerisch / kreative Hochbegabung
  • Heilerisch / therapeutische Hochbegabung
  • Analytische Fähigkeiten (Blick für Details und größere Zusammenhänge)
  • Sozialkompetenz (Führungsqualitäten, Helferqualitäten, Empathie)
  • Genauigkeit und Tiefgründigkeit in der Arbeit

Im weiteren Schritt brauchen Hochsensible ein Bewusstsein darüber, ob sie eher extrovertiert oder introvertiert sind. In meinem Buch „Hochsensibel ist mehr als zart besaitet“ habe ich eine Tabelle zusammengestellt, die Berufe verschiedener Sparten danach sortiert. Hier ein Beispiel aus dem künstlerischen Sektor: Als Schauspieler und Sänger brauchen Sie eine extrovertierte Art, um Erfolg zu haben. Als Schriftsteller, Drehbuchautor oder Malerin können Sie in Ihrem stillen Kämmerlein vor sich hinarbeiten. Hochsensible, die in der Industrie arbeiten, sollten sich fragen, ob sie für den Außendienst geeignet sind oder besser in die Personalabteilung passen. Sie sollten es unter allen Umständen vermeiden, sich den Erwartungen des Umfelds anzupassen, wenn sie dadurch in Konflikte mit sich selbst geraten.

Auch das räumliche Umfeld spielt eine große Rolle. Dunkle, kahle und sterile Büros sind hochsensible Menschen ein Graus. Sie lieben ästhetische Gestaltungen und brauchen eine Umgebung, in der sie sich auch optisch wohlfühlen. Ihrem Blick entgeht kein Detail. Disharmonie wirkt sich bei ihnen aufs Gemüt aus. Wie die Serienfigur Adrian Monk müssen sie Bilder geraderücken. Oder sie beginnen, selbst welche im Büro aufzuhängen. Großraumbüros sollten von Hochsensiblen gemieden werden, weil sie zu viel Unruhe erzeugen.

Abschließend möchte ich dazu ermutigen, die Kollegen und Chefs genauer unter die Lupe zu nehmen. Viele Probleme entstehen gar nicht durch die täglichen Anforderungen, sondern wegen Konflikten in der Firma. Mobbing ist ein Tabuthema und wird als solches häufig unterschätzt. Hochsensible brauchen Vorgesetzte, die respektvoll, wertschätzend und fair mit ihren Mitarbeitern umgehen. Ungerechtigkeiten, Klüngeleien und Intrigen setzen ihnen schwer zu. Ihr Harmoniestreben ist sehr groß. Wenn sie nicht auf sich aufpassen, werden sie in solchen Konstellationen für fremde Interessen missbraucht und zwischen den Fronten förmlich zermahlen.

Neben dem Schreiben unterstützen Sie Menschen auch persönlich, in Seminaren oder als Coach Ihrer hsp academy. Welche Angebote gibt es, für wen sind sie geeignet und wie können Sie Hochsensiblen helfen?

Harke: Ich arbeite in freier Praxis als Dipl.-Psychologin und helfe Hochsensiblen, ihr Selbst-Bewusstsein zu stärken. Dabei arbeite ich überwiegend mit Erwachsenen. Die Erweckung der Selbstliebe halte ich aus eigener Erfahrung für die Basis im Leben. Meine Klienten schleppen seit Jahrzehnten negative Glaubenssätze über sich herum. Diese inneren Sabotageprogramme entdecken wir gemeinsam, um sie vollständig aufzulösen. Die Hauptthemen meiner Klienten sind:

  • Selbstwertstärkung
  • Berufung & berufliche Veränderungen
  • Beziehungen
  • Abgrenzung

Ich arbeite intuitiv und mische Methoden aus der Gesprächs- Körper- u. Kunsttherapie, dem NLP, systemischen Aufstellungen und inneren Bilderreisen. Ich arbeite sehr viel am Telefon, so können meine Klienten in ihrer vertrauten Umgebung bleiben und sparen sich lange Anreisen. Bei intensiven Coaching-Prozessen, wie zum Beispiel im Burnout oder bei der Frage nach der Berufung bietet es sich eher an, einige Tage bei uns im schönen Schwarzwald zu übernachten, um dann täglich zu Einzelterminen zu kommen. In diesen Tagen machen meine Klienten Quantensprünge, die ihr Leben nachhaltig verändern. Gemeinsam mit meinem Mann Arno Harke, der auch hochsensibel ist, gebe ich Live-Seminare zu den Themen: Selbstwert & Abgrenzung, Berufung und Berufswegplanung, Erfolg, Intuition und Entspannung.

Was ist ihr ganz persönlicher Sinn des Lebens? Wie haben Sie ihn gefunden?

Harke: Ich glaube, dass wir uns sowohl kollektiv als auch persönlich in einer ständigen Weiterentwicklung befinden. Wir haben die Möglichkeit, auf die Herausforderungen des Lebens mit Liebe oder Hass zu reagieren. Ich habe mich entschieden, das Gefühl von Liebe zu vermehren. Und das fängt an erster Stelle bei der Selbstliebe an. Von dort aus können wir Liebe an unsere Mitmenschen, an Tiere und an Mutter Erde weitergeben. Durch meine tiefe Verbundenheit mit der Natur und allem Leben fühle ich eine gewisse Verantwortung, etwas Positives auf diesem Planeten beizutragen. Ich glaube, dass unsere liebevollen Taten, Gedanken und Gefühle etwas verändern können. Dazu möchte ich mit meinen Büchern beitragen. Je mehr ich meinen Talenten Ausdruck gebe, umso sinnerfüllter fühlt sich mein Leben an. Das macht mich glücklich.

Durch meine spirituelle Suche, die ich bereits als Kind wie ein Brennen in mir spürte, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir auch nach dem physischen Ableben als Bewusstsein weiterexistieren. Davon bin ich fest überzeugt. Einige mystische Erlebnisse haben mich darin bestärkt. In meinem Buch „Hochsensibel – Was tun?“ habe ich darüber geschrieben. Wenn wir uns bewusst werden, dass es kein Ende gibt, dass es nicht egal ist, was nach unserem körperlichen Tod geschieht, können wir aufhören, unseren Planeten oder uns selbst zu zerstören. Wir sind keine Maschinen, keine Staubkörner im kalten Universum. Der ganze Kosmos ist von Bewusstsein durchdrungen und wartet darauf, dass wir endlich aus unserer kollektiven Amnesie aufwachen. Der Kinofilm „Avatar“ zeigt dies sehr schön. Es macht mir Hoffnung, dass dieser Film der erfolgreichste Film aller Zeiten ist.

Frau Harke, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Markus Hofelich.

Weitere Informationen unter: www.hsp-academy.de

Bilder: Conny Ehm, Jutta Panke, Sylvia Harke, Verlag Via Nova

 

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