Carpe Diem – Nutze den Tag, aber richtig!

by Hofelich
Carpe Diem - Nutze den Tag, aber richtig

Carpe Diem, pflücke den Tag! Das Zitat von Horaz ist längst zum geflügelten Wort geworden. Doch was heißt und bedeutet es wirklich? Ist die richtige Übersetzung „Nutze den Tag“, „Genieße den Tag“ oder verbirgt sich dahinter der Appell „Mach was aus Deinem Leben“? Was steckt hinter der Kraft des Augenblicks? Nur allzu oft leben wir zu sehr in der Vergangenheit und in der Zukunft, aber zu wenig in der Gegenwart. Wir leben unseren Alltag oft in Monotonie und Routine, als käme das richtige Leben irgendwann später. Wir müssen lernen, öfter wieder bewusst im Hier und jetzt zu leben. Mit mehr Achtsamkeit. Denn das Glück lässt sich nur im Zauber des Augenblicks erfahren und spüren. Wie Sie den Augenblick richtig nutzen, erfahren Sie hier. Carpe Diem!

Horaz: „Carpe diem“ – Übersetzung:„Genieße den Tag“

Der lateinische BegriffCarpe diem“ stammt aus dem Jahr 23 v. Chr. und taucht in der Ode „An Leukonoe“ auf, die der römische Dichter Horaz verfasste. Er heißt auf deutsch  „Genieße den Tag“ oder wörtlich übersetzt „Pflücke den Tag“. Im Deutschen ist die Übersetzung „Nutze den Tag“ weit verbreitet, trifft jedoch nicht ganz den Kern dessen, was Horaz eigentlich vermitteln wollte.

Dem Dichter ging es nicht um einen pflichtbewussten Aufruf, möglichst viele Aufgaben an einem Tag zu erledigen. Sondern vielmehr darum, die knappe Lebenszeit heute zu genießen und das nicht auf den nächsten Tag zu verschieben.

 

Carpe Diem – Die Kraft des Augenblicks

 

„An Leukonoe“

„Frage nicht, welches Ende die Götter mir, welches sie dir, Leukonoe, zugedacht haben, und versuche dich nicht an babylonischen Berechnungen!

Wie viel besser ist es doch, was immer kommen wird, zu ertragen! Ganz gleich, ob Jupiter dir noch weitere Winter zugeteilt hat oder ob dieser jetzt…dein letzter ist.

Sei nicht dumm, filtere den Wein und verzichte auf jede weiter reichende Hoffnung!

Noch während wir hier reden, ist uns bereits die missgünstige Zeit entflohen: Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden!“  („carpe diem, quam minimum credula postero“)

Horaz (deutsche Übersetzung)

 

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Die Sehnsucht, den Augenblick zu genießen

Carpe diem wurde später auch zu einem zentralen Motiv der Dichtung des Barock. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges führten im 17. Jahrhundert zu einem starken Gefühl der Vergänglichkeit:Memento mori“ – „Bedenke, dass du sterben musst“.

Daraus ergab sich die Sehnsucht, den Augenblick zu genießen, nach dem Motto: „Denke nicht an die Ewigkeit, sondern nutze die Zeit, die dir bleibt, für dein Vergnügen!“ Dieser Aspekt kommt auch in der Ode „Ich empfinde fast ein Grawen“ von Martin Opitz aus dem Jahr 1624 zum Ausdruck. Doch was heißt „Carpe diem“ heute? Welchen Nutzen können wir daraus ziehen?

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Carpe diem als „Wake-up Call“

Viele Menschen stecken in einem Hamsterrad, das sich stets höher, schneller und weiter dreht: Geld verdienen, Geld ausgeben, Besitz, Zerstreuung und Unterhaltung. „Sie jagen ständig neuen Zielen hinterher und finden keine dauerhafte Zufriedenheit oder einen echten Lebenssinn. Doch diese Dinge machen uns nicht wirklich glücklich, sondern lenken nur von dem Leben ab, das wir eigentlich leben möchten“, sagt Bestsellerautorin Janice Jakait.

Nur allzu oft verlieren wir uns in Gedanken an die Vergangenheit und an die Zukunft und verlieren unseren Blick auf die Gegenwart. „In der Regel gibt es morgen Marmelade und gestern gab es welche, nur heute gibt es nie Marmelade“, sagt die Weiße Königin in „Alice im Wunderland“. Die meisten von uns sind so, erklärt Dale Carnegie dazu, sie ärgern sich über die Marmelade von gestern, oder machen sich wegen der von morgen Sorgen, statt sie heute dick aufs Brot zu streichen.

 

Zitat:

„Laufe nicht der Vergangenheit nach. Verliere dich nicht in der Zukunft. Die Vergangenheit ist nicht mehr. Die Zukunft ist noch nicht gekommen. Das Leben ist hier und jetzt.“

Buddha

 

 

Raus aus der „Wenn-dann-Falle“

Wer sich zu sehr auf die Zukunft fokussiert, steckt schnell in einer „Wenn-dann-Falle“ fest. Wir versuchen nur allzu oft, unsere Gegenwartszeit in die Zukunft zu investieren um das künftige Glück quasi durch Unglück in der Gegenwart zu erkaufen.

Jeder kennt diese Gedanken: Wenn ich erst mal mit der Schule fertig bin, das Studium abgeschlossen habe, den ersten Job starte, dann werde ich glücklich sein. Wenn ich dieses Ziel erreicht, wenn ich dieses Hindernis überwunden habe, dann kann ich beginnen zu leben. Wenn der Traumpartner endlich da ist, die Beförderung in der Tasche, das Haus gebaut ist, die Kinder aus dem Haus sind, wenn ich erst mal in Rente bin…..

 

Der Weg ist das Ziel

Und später auf dem Sterbebett erkennen wir, dass wir alles erreicht haben, aber das Leben irgendwie an uns vorbeigezogen ist. Weil wir zu wenig bewusst und intensiv gelebt haben. Führen wir uns vor Augen: Das letzte unvermeidliche Ziel des Lebens ist der Tod – Final Destination. Und das Leben? Das Leben ist der Weg.

In diesem Kontext kommt dem Spruch „Der Weg ist das Ziel“ für unser persönliches Leben eine besondere Bedeutung zu. Oder wie IKEA-Gründer Ingvar Feodor Kamprad sagt: „Das Glück besteht nicht darin, sein Ziel zu erreichen, sondern auf dem Weg dorthin zu sein“. Also in der Gegenwart.

Und übertragen auf das Leben wusste schon der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel: „Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben.“ Der Spruch „Carpe diem“ bringt all das in zwei knappen Worten auf den Punkt.

 

 

Carpe Diem – Die Kraft des Augenblicks

 

Das Gedicht „Carpe diem!“ von Annette von Droste-Hülshoff

Auch Annette von Droste-Hülshoff, eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen, griff dieses Motto auf und appellierte 1845 in ihrem Gedicht „Carpe diem!“ an die Leser, bewusst im „Hier und Jetzt“ zu leben.

 

Carpe diem!

…O, wer nur ernst und fest die Stunde greift,

Den Kranz ihr auch von bleicher Locke streift,

Dem spendet willig sie die reichste Beute.

Doch wir, wir Toren, drängen sie zurück,

Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,

Und unsre Morgen morden unsre Heute.

Annette von Droste-Hülshoff

 

Das Glück findet nur im „Hier-und-Jetzt“ statt

Carpe diem ist auch ein wichtiger Schlüssel zum Glück. Wir versuchen oft, die schönen Erlebnisse aus der Vergangenheit zu wiederholen und sie in die Zukunft zu retten, doch das funktioniert nicht. Denn die vergangenen Gefühle sind nicht wiederholbar. Auch die Hoffnung auf künftiges Glück hilft uns nicht weiter.

Wir müssen uns aus diesem Gedanken-Karussell befreien: Raus aus der Endlosschleife zwischen „gestern war alles besser“ und „morgen wird alles besser“. Hinein in den Augenblick, in den höchsten Brennpunkt der Existenz, wie der Lyriker Friedrich Hebbel sagte.

Glück findet jetzt statt, in diesem Augenblick. Vergangenes Glück kann mich träumerisch, melancholisch oder verzweifelt machen, zukünftiges Glück unruhig und sehnsuchtsvoll. Erst das Eintauchen in den Augenblick befreit mich von dem Gefühl des Mangels. Ich bin hier, am Leben!“, sagt Buchautorin Kerstin Chavent.

Die schönsten Momente können wir nur intensiv im Hier und jetzt mit unserem Herz fühlen. Erinnern wir uns an unsere glücklichsten Augenblicke. Da waren wir ganz präsent in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft, sondern ganz versunken im Augenblick. „Das Hier und Jetzt ist Ewigkeit“, schreibt Erich Fromm in seinem Klassiker „Haben oder Sein“.

 

 

Mit mehr Achtsamkeit durchs Leben gehen

Carpe diem bedeutet auch, dem Leben mit mehr Achtsamkeit zu begegnen. „Die Achtsamkeit vermag uns genau dahin zu führen, wo wir viel zu selten sind: In unser Leben, so wie es jetzt gerade ist. Nicht auf Autopilot zu leben, sondern ganz präsent zu sein“, sagt Autorin Christa Spannbauer.

Mit allen Sinnen das Leben zu sehen, hören, schmecken, riechen und zu ertasten, unsere Gefühle zu spüren und unsere Gedanken zu erkennen. So können wir die vielen Dinge und Ereignisse in unserem Alltag bewusst wahrnehmen, denen wir viel zu oft keine Aufmerksamkeit schenken.

Worum es geht, ist die Kostbarkeit des Augenblicks zu erkennen und auch zu nutzen. Das Leben nicht an sich vorüberziehen zu lassen, sondern mitten hinein zu springen. Genau deshalb ist die Achtsamkeitspraxis so entschieden darin, uns zuzurufen: Lebe jetzt! Sei ganz präsent! Vergeude nicht dein eines, wildes, kostbares Leben!“, so Christa Spannbauer.

 

Carpe diem als Motto im Film-Klassiker „Der Club der toten Dichter“

Carpe diem ist auch ein zentrales Motiv im Oscar-prämierten Film-Klassiker „Der Club der toten Dichter“ von 1989. Darin fordert der neue Englischlehrer John Keating (grandios gespielt von Robin Williams) seine Schüler an einer US-Elite-Schule mit unkonventionellen Methoden zu selbständigem Handeln und freiem Denken auf.

 

Zentrales Thema ist der Konflikt zwischen der erzkonservativen Schulleitung und den nach Selbstentfaltung strebenden Jungen. Keating ist es sehr wichtig, die Individualität seiner Schüler zu fördern. Und so motiviert er sie immer wieder, sich mehr zuzutrauen, ihre Möglichkeiten auszuloten und etwas aus ihrem Leben zu machen. Er ermuntert sie, jeden Tag ihres kurzen, vergänglichen Lebens im Sinne des Mottos Carpe diem zu nutzen.

 

Film-Zitate:

„Und wenn Sie etwas lesen, vollziehen Sie nicht nur die Gedanken des Autors, berücksichtigen Sie auch, was Sie denken. Gentlemen, Sie müssen sich um eine eigene Perspektive bemühen. Und je länger sie damit warten, um so unwahrscheinlicher ist es, dass Sie sie finden. Thoreau sagte: »Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung.« Finden Sie sich nicht damit ab. Brechen Sie aus. Stürzen Sie nicht in den Abgrund wie die Lemminge. Sehen Sie sich um. […] Haben Sie den Mut Ihren eigenen Weg zu suchen.“

 „Carpe Diem! Nutzet den Tag, Jungs! Macht etwas Außergewöhnliches aus eurem Leben!“                                                  

Lehrer John Keating,  Der Club der toten Dichter

 

 

Die moderne Version von Carpe diem: YOLO – „You only live once“ 

Eine moderne Variante von Carpe diem ist die Abkürzung YOLO für „you only live once“ – „du lebst nur einmal“. 2012 wurde „YOLO“ in Deutschland zum Jugendwort des Jahres gewählt. Bekannt gemacht hat es vor allem der Hip-Hop-Song „The Motto“ von Drake. YOLO unterscheidet sich jedoch stark vom ursprünglichen Sinne von Carpe diem.

Es fordert dazu auf, eine Chance zu nutzen und einfach Spaß zu haben, egal welchen Gefahren man sich aussetzt oder welche Verbote man missachtet. YOLO wird meist von den Youngsters benutzt, wenn sie entsprechendes getan haben („YOLO-Aktionen“).

 

Carpe Diem – Die Kraft des Augenblicks

 

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind gleichermaßen wichtig

Doch sich darauf zu besinnen, wieder etwas mehr im Hier und jetzt zu leben, sollte nichts damit zu tun haben, Verbotenes oder Gefährliches zu tun. Die Übersetzung „Genieße den Tag“ bedeutet auch nicht, einfach in den Tag hineinzuleben, auf der faulen Haut zu liegen oder sein ganzes Geld auf einmal zu verprassen, als gäbe es kein Morgen. Denn natürlich spielen Vergangenheit und Zukunft eine genauso wichtige Rolle, wie die Gegenwart.

Die Vergangenheit ist die Basis unseres Selbst. Die Summe der vergangenen Augenblicke haben uns schließlich zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Und auch der Blick in die Zukunft ist wichtig. Um ein für uns selbst sinnvolles Leben zu führen, müssen wir uns Ziele setzen, planen, vorsorgen und uns auch anstrengen, unsere Ziele zu erreichen.

Wer sich aber zu stark auf die Vergangenheit und die Zukunft fokussiert, der sollte nicht die Gegenwart aus den Augen verlieren, sonst zieht das Leben an ihm vorbei. „Nicht in die ferne Zeit verliere dich! Den Augenblick ergreife. Nur er ist dein“, sagte Johann Christoph Friedrich von Schiller. Also Carpe diem! Egal, welche Übersetzung man genau präferiert: Genieße und nutze den Tag gleichermaßen und mach was aus Deinem Leben!

 

 

Liebe

 

Zitate zur Kraft des Augenblicks:

„Ein wichtiger Punkt der Lebensweisheit besteht in dem richtigen Verhältnis, in welchem wir unsere Aufmerksamkeit teils der Gegenwart, teils der Zukunft widmen, damit nicht die eine uns die andere verderbe. Viele leben zu sehr in der Gegenwart: die Leichtsinnigen; andere zu sehr in der Zukunft: die Ängstlichen und Besorglichen. Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in Ihr liegt unser Dasein.“

Arthur Schopenhauer

 

Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.

Meister Eckhart

 

 

Bilder: Unsplash, Pixabay, Touchstone Pictures

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