Interview mit Anselm Grün: „Spiritualität und Christentum“

by Hofelich
Interview mit Dr. Anselm Grün: „Spiritualität und Christentum“

Dr. Anselm Grün ist Benediktinerpater, Referent und zählt zu den bekanntesten sowie meistgelesenen christlichen Autoren der Gegenwart. Im Kern seiner Werke steht die Verbindung von christlicher Religion mit Spiritualität und Psychologie. Nach seinem Studium der Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaft leitete er die Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg von 1977 bis 2013 als Cellerar und war für rund 300 Mitarbeiter in über 20 Betrieben verantwortlich. Im Interview spricht Anselm Grün über die Berührungspunkte von Spiritualität, Christentum und Buddhismus sowie über sein neues Buch „Zur inneren Balance finden: Was das Leben leichter macht“.

Herr Dr. Grün, Sie verbinden als Benediktinermönch die christliche Religion mit Spiritualität und Psychologie. Wie ergänzen sich diese Aspekte?

Grün: Der Glaube hat immer auch eine therapeutische Dimension. Durch die Verbindung von Spiritualität und Psychologie wird diese heilende Wirkung des Glaubens eher verständlich.

 

Kerze, Licht, Spiritualität

 

Spiritualität ist ein breiter Begriff. Was verstehen Sie darunter?

Grün: Spiritualität heißt: Leben aus dem Geist. Für mich als Christen bedeutet das: Leben aus der Quelle des Heiligen Geistes, die in mir und die in jedem Menschen strömt, von der wir aber oft genug abgeschnitten sind.

Viele Menschen wollen heute die Spiritualität für sich benutzen. Sie soll ihnen etwas bringen, wie Entspannung oder Ruhe. Doch der Sinn der Spiritualität ist, sich Gott zu öffnen. Wenn ich bereit bin, mein Ego loszulassen und mich für Gott aufzubrechen, dann darf ich auch Ruhe und Eins-Sein erfahren. Aber das ist dann ein Geschenk. Ich kann das Eins-Sein nicht machen.

Das Interesse der Deutschen an den traditionellen Kirchen immer mehr ab. Gleichzeitig steigt das Interesse an Spiritualität. Wie ist das zu erklären?

Grün: Viele haben in der Kirche zu sehr die moralisierende Botschaft vernommen und sind nicht der christlichen Mystik in ihr begegnet. Daher suchen sie in anderen Religionen. Mein Anliegen ist es, den Menschen den Reichtum christlicher Spiritualität zu vermitteln, die uns näher liegt als der Umweg über andere Religionen, die wir im Westen nur sehr bruchstückhaft verstehen.

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Kirche, christlicher Glaube

 

Welchen praktischen Zugang zu Spiritualität kann der christliche Glaube bieten?

Grün: Die christliche Tradition kennt seit dem 3. Jahrhundert die Meditation. Die klassische Meditation ist das Jesusgebet, das man – wie im Osten auch – mit dem Atem verbindet. Doch das Ziel dieser christlichen Meditation ist nicht die Leere, sondern, dass man erfüllt und verwandelt wird vom Geist Jesu, der ein Geist der Liebe und Barmherzigkeit ist.

Die christliche Spiritualität drückt sich in vielen Formen aus, in heilenden Ritualen, in den Festen des Kirchenjahres. Der Psychologe C.G. Jung nennt das Kirchenjahr ein therapeutisches System, weil es die wichtigsten Bilder der menschlichen Seele anspricht. Daneben gibt es die persönlichen Wege von Gebet, Meditation, von Fasten und Askese.

Die christliche Tradition ist überzeugt: Nur wenn Gott in mein Boot steigt, kann ich ruhig durch die Stürme des Lebens hindurch kommen. Ich komme zu mir und meinem wahren Selbst in dem inneren Grund der Seele, in dem Gott wohnt. Die deutsche Sprache drückt das so aus: Daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt. Weil das Geheimnis Gottes in mir wohnt, kann ich in mir Heimat finden.

Der moderne Mensch muss lernen, still zu werden, seine lärmenden Gedanken zum Schweigen zu bringen. Das ist die Voraussetzung eines spirituellen Weges.

Sind die spirituellen Erfahrung in den Religionen letztendlich die gleichen und sind nur die Wege dorthin unterschiedlich?

Grün: Die spirituellen Erfahrungen in den verschiedenen Religionen sind ähnlich, aber nicht identisch. Je tiefer man in die Mystik eintaucht, desto mehr gleichen sich die Erfahrungen. Aber der Weg in den inneren Grund der Seele, in den Raum absoluter Stille geht im Christentum über das Wort und über das Bild. Worte und Bilder führen in die Stille, in den Raum jenseits aller Worte und Bilder. Der Weg des Buddhismus lehnt Worte und Bilder ab. Er möchte direkt das reine Schweigen erreichen.

Zusammen mit der chinesische Zen-Meisterin Shih Chao-hwei haben Sie 2013 das Buch „Was glaubst du? Christentum und Buddhismus im Gespräch“ veröffentlicht. Wo ergänzen sich beide Religionen?

Grün: Das Ziel von Christentum und Buddhismus ist einmal, vom Ego frei zu werden und offen zu werden für den Geist Gottes. Zum andern zeigen beide Religionen Wege auf, wie wir mit dem Leid umgehen. Und Leid ist ein Thema, das jeden Menschen betrifft. Je offener wir uns im Gespräch begegnen, desto mehr schätzen wir die Erfahrungen der anderen Religion.

Buddhismus, Spiritualität

 

Schließen sich Naturwissenschaft und Religion aus oder sind sie miteinander vereinbar?

Grün: Früher hat man Gott oft als Lückenbüßer für noch nicht Erkanntes verstanden. Doch heute wissen wir, dass Religion und Naturwissenschaft sich nicht widersprechen. Denn sie nähern sich auf verschiedenen Ebenen der einen Wirklichkeit. Die heutige Naturwissenschaft – vor allem auch die Quantenphysik – ist der Religion gegenüber viel offener als die Vertreter der Newtonschen Physik, die alles erklären wollte.

Welche Bedeutung hat ein suchender Atheismus für eine erwachsene Spiritualität?

Grün: Wir müssen unterscheiden zwischen den:

  • Gleichgültigen Atheisten, die sich nur um Vordergründiges kümmern.
  • Den aggressiven Atheisten, die letztlich von der Gottesfrage herausgefordert werden.
  • Und den suchenden Atheisten, die versuchen, die Wirklichkeit zu erklären.

Mit den suchenden Atheisten können wir gut sprechen. Denn sie sind offen für das Geheimnis des Seins. Sie benennen das Geheimnis nicht mit Gott. Dadurch fordern sie uns Christen heraus, immer wieder unsere Worte und Bilder auf das Geheimnis hin zu übersteigen, das wir aber trotz aller Zweifel dennoch Gott nennen.

„Zur inneren Balance finden: Was das Leben leichter macht“ lautet der Titel Ihres neuesten Buches vom Juli 2017. Worum geht es?

 

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Grün: Ich finde zur inneren Balance nur dann, wenn ich die Gegensätze in mir annehmen. C.G. Jung, der Schweizer Psychologe, sieht den Menschen immer polar strukturiert. Er kennt Liebe und Aggression, Glaube und Unglaube, Helles und Dunkles. Nur wenn ich mich aussöhne mit meinen Gegensätzen, finde ich zur inneren Balance. Ein anderer Weg ist der Weg des rechten Maßes, wie ihn der Heilige Benedikt uns in seiner Regel aufgezeigt hat.

 

Sie bieten auch zahlreiche Seminare an. Welches Themenspektrum decken Sie vor allem ab und für wen sind sie vor allem geeignet?

Grün: Ich behandle Lebensthemen wie: Umgang mit Leid, mit Krankheit, mit Trauer. Dann geht es um die Fragen: Wie finde ich meine Lebensspur? Welche Rituale helfen mir, im Alltag aus dem Glauben zu leben? Zum andern gebe ich auch Führungsseminare für Führungskräfte, wie „Führen mit Werten“ oder „Menschen führen – Leben wecken“.

Sie sind erfolgreicher Bestsellerautor und haben bisher über 300 Bücher geschrieben. Was treibt Sie an?

Grün: Ich möchte die christliche Botschaft den Menschen von heute so verkünden, dass sie ihre Menschenfreundlichkeit spüren und dass sie im Glauben Wege finden, ihr Leben in einer guten Weise zu bewältigen.

Was gibt Ihrer Meinung nach dem Leben vor allem Sinn?

Grün: Mein Leben hat einen Sinn, wenn ich ganz ich selber lebe, anstatt andere Menschen zu kopieren. Und mein Leben hat einen Sinn, wenn ich meine Sendung, meinen Auftrag in der Welt erkannt habe und ihn auch lebe.

Was ist für Sie persönlich der Sinn des Lebens?

Grün: Für mich ist der Sinn des Lebens, immer durchlässiger zu werden für den Geist Jesu und auf diese Weise die Menschen mit dem Geist Jesu in Berührung zu bringen.

 

Weitere Informationen über Anselm Grün  (Bücher, Vorträge, Seminare, etc.) unter:                 www.anselm-gruen.de

Das Interview führte Markus Hofelich.

 

Bilder: Titel: Markus Banowski / Anselm Grün / Pixabay

 

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