„Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation“ von Sabine Bode

by Hofelich
Sabine Bode Kriegsenkel

Dass die Auswirkungen der Kriegsvergangenheit bis heute noch in vielen Familien bis in die zweite und dritte Generation hinein zu spüren sind, ist Thema des Bestsellers „Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation“ von Sabine Bode. Eigentlich dürfte es der Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen, die in Zeiten des Friedens und Wohlstands aufgewachsen sind, an nichts fehlen. Doch viele „Kriegsenkel“ sind verunsichert, wissen nicht genau, wer sie sind, wohin sie wollen und haben eine diffuse Angst vor der Zukunft. „Noch ist es für sie ein völlig neuer Gedanke, sich vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben“, schreibt Bode und geht der Frage nach: „Ist es möglich, dass eine Zeit, die über 60 Jahre zurückliegt, so stark in ihr Leben als nachgeborene Kinder hineinwirkt?“. Sie zeigt in 18 bewegenden Fallbeispielen auf, wie die Kriegsenkel von der Beziehung zu ihren Eltern und das Schweigen über den Krieg geprägt wurden. Um das Trauma zu beenden empfiehlt sie, sich mit den Kriegserlebnissen der eigenen Familie auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen. „Wer seine eigene Identität nicht geklärt hat, ist nicht frei.“

Generation Golf: nach Hedonismus und Konsum strebende Ego-Gesellschaft

Für die Kriegsenkel, also der Generation der zwischen 1965 und 1975 geborenen, hatte der Autor Florian Illies 2000 in seinem gleichnamigen Bestseller den Begriff „Generation Golf“ geprägt. Diese Generation verkörpert für Illies eine mehrheitlich unkritische, nur nach Konsum strebende Ego-Gesellschaft, die unpolitisch agiert und die erste Generation ist, die Mode-Orientierung, Hedonismus und Markenbewusstsein zu einem Wert erhebt.

Obwohl die Kriegsenkel „in den besten aller Zeiten aufgewachsen“ waren, zeigten viele eine große Unsicherheit und das Gefühl, „ihnen fehle der feste Boden unter den Füßen“. Sie konnten sich auch nicht mit dem Bild „einer zufriedenen Generation“ identifizieren, das in den Medien über die Generation 40 plus und die „Baby-Boomer“ verbreitet wird.

 

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Innere Leere und Beziehungsprobleme

Laut Bode berichten heute viele der 40- bis 50-Jährige von einem Gefühl der inneren Leere, Abkapselung und Heimatlosigkeit, von Beziehungsproblemen und der Unmöglichkeit, sich von ihren Eltern abzunabeln. Ihrer Meinung nach leiden viele, ohne sich dessen bewusst zu sein, unter dem langen Schatten von Nationalsozialismus, Krieg, Flucht und Vertreibung, der bis in die Gegenwart hineinreicht: „Die meisten Familien wissen nicht, dass das Päckchen, das sie mit sich herumtragen, aus dieser Zeit stammt“, sagt Sabine Bode.

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Auf ihr Vorgänger-Buch „Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“ über Angehörige der dreißiger und vierziger Jahrgänge, erhielt Sabine Bode eine große Resonanz von Kriegsenkeln, die aus Flüchtlingsfamilien stammen. Viele dieser Erfahrungen flossen in das aktuelle Buch mit ein. Insgesamt gab es 14 Millionen Deutsche, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Kriegsenkel beschrieben, wie stark deren Mütter und Väter von ihrem Schicksal als Flüchtlingskinder durch Vertreibung und den Neubeginn in einer größtenteils feindseligen Umgebung ihr Leben lang beeinflusst waren. Dies zeigte sich in einem extremen Misstrauen, und dass sie nicht aufhörten, sich über die Zukunft existentielle Sorgen zu machen, auch dann, wenn sie über ein gutes Einkommen verfügten und materiell gut abgesichert waren.

 

„Ich frage mich schon lange, warum ich so verunsichert durch die Welt laufe“

In Ihren Gesprächen stieß Sabine Bode häufig auch auf Menschen, die Schwierigkeiten hatten, tiefere Bindungen einzugehen. Etwa bei einem kinderlosen 50-jährigen Rechtsanwalt, der trotz seines beruflichen Erfolgs ein gestörtes Verhältnis zu Frauen hatte und den regelmäßig Schuldgefühle befielen, wenn er sich größere Anschaffungen leistete. Eine andere Frau schrieb ihr: „Ich bin 40 Jahre alt und frage mich schon lange, warum ich so verunsichert durch die Welt laufe. Ich habe eine gute Ausbildung, traue mir aber nichts zu. Wenn ich mich bewerben soll, bekomme ich Panik.“ Ein Mann gleichen Alters teilte ihr mit, er sei zwar beruflich äußerst erfolgreich und auch risikobereit, habe aber nicht den Mut zur Familiengründung. In beiden Fällen hatte Bode nach den Kindheitserlebnissen der Eltern gefragt. „Diese deckten sich im Wesentlichen mit den Geschichten in meinem Kriegskinderbuch“, so Bode. Sie waren überrascht, dass die Ursachen für ihre Probleme in nicht verarbeiteten Konflikten der Vergangenheit liegen.

Die tieferen Gründe dahinter sieht Bode darin, dass die Eltern ihren Kindern in den frühen und damit entscheidenden Jahren nicht ausreichend Halt geben und nur wenig Vertrauen ins Leben vermitteln konnten. Waren Mutter und Vater durch die kindlichen Kriegserlebnisse in ihrem Lebensgefühl und in ihrer Identität verunsichert, so konnten sie auch ihren eigenen Kindern wenig Orientierung geben. „Die Kriegsenkel berichteten mir von relativ normalen Familienverhältnissen. Ihre Eltern waren keine Unmenschen gewesen. Es wurde nur übereinstimmend gesagt: Ich kann meine Eltern emotional nicht erreichen“, schreibt Bode. 

 

 

Nicht genügend Liebe und Aufmerksamkeit

Vielfach waren die Eltern der Kriegsenkel nicht in der Lage, ihren Kindern die Liebe und Aufmerksamkeit zu geben, die sie gebraucht hätten. Schließlich wurden sie als Kriegskinder kurz vor oder während des Krieges geboren und mussten als Kinder die Schrecken des Krieges und der Nachkriegszeit miterleben. Auch sie selbst erhielten von ihren Eltern meist ebenfalls nicht die Liebe und Aufmerksamkeit, weil diese damit ausgelastet waren, das schiere Überleben der Familie zu sichern. Die durch den Krieg belasteten Kinder wurden mit ihrem Leid allein gelassen, und auch viele Kriegsenkel erfuhren, dass ihre Ängste und inneren Nöte von den Eltern oft nicht ernst genommen wurden („Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast“). Sie erwarteten aufgrund ihrer eigenen schrecklichen Kindheitserlebnisse, dass die Kinder mit ihren damit verglichenen durchschnittlichen Problemen selbständig zurecht kommen würden.

Gerade die Frauen der Kriegskindergeneration schienen vielfach ihre mütterliche Rolle nur noch in der Erfüllung der materiellen Bedürfnisse ihrer Kinder zu sehen. Wer solches oder ähnlich Schreckliches erleben musste, dem dürfte es schwer fallen, seinen Kindern zu vermitteln, dass die Welt ein sicherer Ort sein kann. Der Gedanke, dass die Eltern so sind wie sie sind, weil sie als Kind Schreckliches erlebt haben, kommt vielen nicht in den Sinn. Das Fazit von Sabine Bode über die 18 in dem Buch ausführlich beschriebenen Geschichten, die sie über sechs Jahre lang in Gesprächen mit Kriegsenkeln gesammelt hat:

 

Sabine Bode Kriegsenkel 2

 

Großes Spektrum an Erfahrungsberichten

„Den Kriegsenkel gibt es nicht, genauso wenig wie das Kriegskind. Gerade die Verschiedenartigkeit der Erfahrungen neben den unübersehbaren Übereinstimmungen verstärkt meiner Meinung nach die Glaubwürdigkeit der Aussagen. In vielen Fällen brachte die Spurensuche in der eigenen Familiengeschichte verblüffende Ergebnisse. Überwiegend werden Schwierigkeiten und Unverständnis zwischen den Generationen geschildert. Damit möchte ich nicht behaupten, die Beziehungen zwischen den Kriegskindern und den Kriegsenkeln seien grundsätzlich spannungsreich. Aber mit Sachbüchern verhält es sich genauso wie mit Romanen und Filmdrehbüchern: Es macht keinen Sinn, über gesunde Familien zu schreiben. Mein Anliegen ist es, auf die Spätfolgen von NS -Zeit und Krieg in vielen deutschen Familien aufmerksam zu machen“, so Bode.

Lösung: Das Schweigen brechen und Gespräche führen

Die Lösung des Problems liegt darin, das oft weitverbreitete Schweigen über die Kriegserlebnisse zu brechen, den verdrängten Familiengeschichten nachzugehen, Gespräche mit seinen Angehörigen zu führen und so ein Verständnis dafür aufzubringen, warum die Dinge sind wie sie sind. Die Enkel-Generation ist laut Bode „die erste Generation, die die Chance hat, das Trauma zu beenden“. Doch ohne eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familie sei dies nicht möglich.

 

 

Fazit „Kriegsenkel“: Sehr empfehlenswertes Buch

„Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation“ von Sabine Bode ist auf jeden Fall ein sehr empfehlens- und lesenswertes Buch des Klett-Cotta-Verlages, das den Kriegsenkeln hilft, sich selbst besser zu verstehen. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass Probleme zwischen den Generationen und Probleme in den individuellen persönlichen und beruflichen Biografien ihre Ursache auch in den nicht verarbeiteten Folgen der Kriegserlebnisse haben können, die sich generationsübergreifend niederschlagen. Nach der Lektüre wird vieles, was man sich vielleicht bei den eigenen Eltern und in der eigenen Kindheit nicht erklären konnte, viel klarer und erklärbarer. Durch die Bücher von Sabine Bode haben sich viele Menschen zum ersten Mal mit der Auswirkung des Krieges auf ihre eigene und die folgende Generation auseinandergesetzt. Ein Buch, das hilft, zu einem besseren Verständnis zwischen den Generationen beizutragen.

Zur Person: Sabine Bode

Sabine Bode wurde 1947 geboren und arbeitet als Journalistin und Buchautorin. Ihre Karriere startete sie als Redakteurin beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, seit 1978 ist sie freiberuflich tätig. Ihre Hörfunkbeiträge werden überwiegend im WDR und im NDR gesendet. Sabine Bode lebt in Köln.

Bekannt wurde die Bestseller-Autorin insbesondere durch ihre Bücher über Kriegskinder und Kriegsenkel. Sie deckte auf, dass kindliche Kriegstraumata oft jahrzehntelang unbewusst und unentdeckt bleiben und erst im höheren Lebensalter mit zusätzlichen Belastungen offenbar werden. Darüber hinaus wirkten die Traumata der Kriegskinder oft Generationen hinweg weiter.

Ihre Sachbücher „Die vergessene Generation“, „Kriegsenkel“, „Nachkriegskinder“ und „Kriegsspuren“ sind allesamt Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Sabine Bode veranstaltet auch Seminare zu diesem Thema. Weitere Informationen unter: www.sabine-bode-koeln.de

Bilder: Unsplash, Pixabay, Amazon

 

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