Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

by Hofelich
Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

Das digitale Zeitalter bringt Licht und Schatten. Im Schnitt verbringen wir bis zu elf Stunden täglich vor Bildschirmen und werden permanent über Computer, Tablets und Smartphones mit Anrufen, eMails und Social-Media-News überflutet. Zudem befeuern soziale Netzwerke die Sucht nach medialen Ego-Kicks und so machen viele Menschen ihren Selbstwert immer mehr von Likes und digitaler Bestätigung abhängig. Zweifelsohne greifen die negativen Folgen der Digitalisierung und ständigen Erreichbarkeit längst auch unsere seelische Gesundheit an. Depressionen, Stress und Ängste nehmen immer mehr zu und auch das Gefühl, isoliert und einsam zu sein. Damit verlieren wir nicht nur wertvolle Lebenszeit, sondern auch den Bezug zur realen Welt, zu Menschen und vor allem auch zu uns selbst, sagt Digital-Detox-Expertin Dr. Daniela Otto in ihrem Buch „Digital Detox für die Seele“. Im Interview erklärt Daniela Otto, wie Digital Detox funktioniert und wie wir mit Achtsamkeit einen sanften Zugang zur digitalen Welt schaffen, der die Selbstfürsorge an erste Stelle setzt.

Frau Dr. Otto, mit Ihrem neuen Buch „Digital Detox für die Seele: Mit Achtsamkeitsübungen bewusst online gehen“ treffen Sie den Nerv der Zeit. Was hat Sie dazu bewogen, einen Ratgeber über dieses Thema zu schreiben? Für wen ist es vor allem geeignet und was erwartet die Leser?

Otto: Sind wir wirklich auf der Welt, um unser Leben am Handy zu verbringen? Wenn wir innehalten, etwas Abstand zu dem Geschehen um uns herum nehmen und uns selbst beobachten, müssen wir uns diese Frage stellen.

Natürlich weiß jeder intuitiv, dass die Antwort „nein“ lauten sollte – doch genau das tun wir: Bis zu elf Stunden am Tag verbringen wir inzwischen vor Bildschirmen. Wir verlieren dadurch nicht nur viel Lebenszeit, sondern auch den Bezug zum Wesentlichen. Den Kontakt zum echten Leben, zur Welt, zu Menschen und allem voran zu uns selbst, unserer Seele.

Machen Sie ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, ein Alien käme auf die Erde und würde uns von seinem Raumschiff aus beobachten. Was würde es derzeit sehen? Menschen, die nicht mehr miteinander sprechen, sondern in eine kleine Maschine starren. Die Augen haben, aber damit nicht mehr die Wunder der Welt erkennen. Die Ohren haben, aber sich nicht mehr gegenseitig zuhören.

Wir verlieren also buchstäblich sehr viel Sinnhaftigkeit – denn wir nutzen unsere Sinne nicht mehr in dem Maße, wie wir es könnten und es uns guttäte.

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Mir geht es bei dem Thema um so viel mehr als nur um den richtigen Umgang mit Smartphones. Ich habe über „Vernetzung“ promoviert und beschäftige mich schon seit vielen Jahren damit. Mir geht es darum, dass wir endlich verstehen, welch immense Dimension dahintersteht.

Vernetzung ist das Urprinzip des Lebens und ja grundsätzlich etwas Gutes: Bäume sind vernetzt, unsere Neuronen im Gehirn sind vernetzt, die Familie ist das ursprünglichste aller sozialen Netzwerke. Vernetzungsmedien triggern unsere Ursehnsucht nach Verbundenheit und sie geben uns ein simples, aber unwiderstehliches Versprechen, das lautet: „Du bist nicht allein.“

Die Realität aber sieht anders aus: Ängste nehmen zu, Depressionen nehmen zu, das Gefühl, einsam und isoliert zu sein nimmt zu. Die Seele leidet unter zu viel Internetkonsum und mit meinem Buch will ich gegensteuern. Ich will damit zu einer Seelenreise einladen.

Gewidmet ist es allen „Klickenden“, „Likenden“ und „Swipenden“, die auf der Suche sind. Den Sinn des Lebens kann man zwar googlen, aber finden wird man ihn nur in sich selbst. Ich will Menschen dazu inspirieren, wieder der eigenen Intuition und nicht tausend Influencern zu folgen. Es ist für alle geeignet, die offen sind für eine tiefe Selbstbegegnung, die Lust auf Achtsamkeit und Meditation haben. Für jeden, der sich nach wahrer Verbundenheit sehnt.

Wir werden täglich über Computer, Tablets und Smartphones mit unzähligen Anrufen, eMails, WhatsApp-Nachrichten und Social-Media-News überflutet. Welche dramatischen Folgen sehen Sie in der permanenten digitalen Erreichbarkeit für die Gesundheit und unsere Gesellschaft?

 Otto: Die Seele ist technisch überfordert. Unser Gehirn verändert sich nachweislich. Und das ist eben das Spannende: Wo ist der Sitz der Seele? Neurowissenschaftlich betrachtet im Gehirn. Und alles, was Digital Detox Gutes für die Seele tut, spielt sich in unserem Gehirn ab, oder pointiert gesagt: Seelisches Leid, Abhängigkeit und eben auch Entgiftung von digitalem Konsumexzess entstehen in Nervenzellen, den Neuronen, speziellen Hirnrealen und deren verzweigten Verschaltungen.

Die Komplexität des Gehirns sprengt jede Vorstellungskraft: Wir haben fast 90 Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn, jedes dieser Neurone bildet Kontaktstellen aus, die Synapsen genannt werden und an denen Signale von einer Nervenzelle zur anderen weitergeleitet werden.

Jede dieser 90 Milliarden Nervenzellen bildet im Schnitt 1000 solcher Kontaktstellen aus (es können auch manchmal 100.000 sein). Knüpft man alle Nervenbahnen aneinander, so ergibt sich eine Strecke von 5,8 Milliarden Kilometer, das ist rund siebenmal die Reise zum Mond und zurück.

Also: Viel los in unserem Kopf. Bedeutend ist nun, dass alle Nervenbahnen und Synapsen in unserem Gehirn nicht, wie die Hardware eines Computers, fest verdrahtet sind, sondern sich diese an die aktuellen Erfordernisse anpassen. Das geschieht, indem Synapsen, die aktiviert werden, an Effizienz gewinnen, während diejenigen, die nicht gebraucht werden, allmählich verschwinden. Das nennt man Neuroplastizität.

Was wir jetzt durch exzessiven Handygebrauch beobachten können ist Folgendes: Wir nutzen immer weniger die Hirnareale, die für die Gedächtnisleistung zuständig sind – wer denkt noch, bevor er googelt? Wir verlieren unsere Empathiefähigkeit, denn auch Mitgefühl entsteht im Gehirn und lässt sich trainieren, nicht jedoch durch „Phubbing“, also dem Phänomen, dass man sein Handy nutzt, während man sich eigentlich seinem Gegenüber widmen sollte.

Immer mehr Menschen werden süchtig nach den medialen Ego-Kicks. Jedes Klick, jedes Like, jedes Match aktiviert in unserem Gehirn das Belohnungszentrum und das kann süchtig machen. Unsere Gesellschaft wird immer unkonzentrierter, unempathischer, narzisstischer – dabei dürfen wir nicht vergessen: Es ist die Nächstenliebe, die uns zusammenhält und unser Intellekt, der uns zu Großem befähigt.

 

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Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

 

Die ständige Mediennutzung führt auch dazu, dass wir den Fokus verlieren und ständig abgelenkt werden, wenn wir eine Aufgabe erledigen. Wie effektiv sind wir bei der Arbeit, wenn wir ständig chatten, posten, twittern sowie WhatsApp-Nachrichten und eMails checken?

 Otto: Ich bin ein großer Fan von Meditation. Seit vielen Jahren meditiere ich jeden Morgen, für mich ist das der perfekte Start in den Tag. Ich setze meinen Fokus, bin ganz bei mir. Während eines modernen Arbeitstages, vor allem im Homeoffice, betreiben wir allerdings permanente Anti-Meditation.

Unser Geist ist zersprengt: hier eine E-Mail, da ein Anruf, dort eine Push-Benachrichtigung. Was ist die Folge davon? Nicht nur, dass wir ineffektiver arbeiten, sondern auch, dass wir deutlich gestresster und dadurch unglücklicher sind.

Wir brauchen ungefähr 15 Minuten, um in einen Zustand der Tiefenkonzentration zu kommen, dann sind wir im Flow. Es ist der Zustand, bei dem wir ganz in einer Tätigkeit aufgehen, die Zeit vergessen und eben glücklich sind. Jede noch so kleine SMS reißt uns allerdings aus diesem Flow heraus. Multitasking ist der absolute Effektivitätskiller. Wir brauchen am Ende doppelt so lang für unsere Aufgaben und erledigen sie schlechter.

Um auf das Bild der Meditation zurückzukommen. Wir sollten mehr wie Mönche arbeiten, nicht wie Hamster im Rad. Wir können wieder lernen, uns ganz auf eine Tätigkeit zu fokussieren, unser Gehirn darauf trainieren.

Wir kennen das heute ja gar nicht mehr und kommunizieren auf zig unterschiedlichen Kanälen mit unseren Kollegen, wir schreiben Mails, obwohl der andere im Zimmer nebenan sitzt. Wir verlernen, miteinander zu sprechen, entwickeln eine seltsame Kontaktscheu. Wer immer nur E-Mails weiterleitet, sich aber nicht mehr traut, mit dem Vorgesetzten unter vier Augen zu sprechen, wird beruflich keine großen Sprünge machen. Das Leben – ob privat oder beruflich – basiert auf echtem Miteinander.

Auch in der Freizeit ist das Smartphone unser fester Begleiter. Wie wirkt sich das auf den Erholungseffekt aus?

Otto: Wer ist noch vollkommen präsent? Nur wer ganz im Augenblick ist und die Welt herum wirklich wahrnimmt, der erkennt, wie schön, ja genial sie bis ins kleinste Detail ist. Ist es nicht erstaunlich, dass sich ein Apfel erst pflücken lässt, wenn er reif ist?

Während des Schreibens schaute ich einmal aus dem Fenster. Es war im Herbst 2020, der Wind kam und wirbelte die Blätter auf. Es war ein ganz einfacher Alltagsmoment, der mich tief ergriffen hat. Die Farben, das Rauschen, die Stimmung, es hat alles gepasst. Wir vergessen, dass die Welt nicht als Selfie-Hintergrund erschaffen worden ist.

Viel zu oft tun wir die Dinge nicht mehr um ihrer selbst willen, sondern nur, weil sie sich auf Instagram als Foto gut machen. Das Geheimnis zur Präsenz ist ja im Grunde einfach: Wenn man geht, so geht man; wenn man isst, so isst man; wenn man liest, so liest man. Wir aber machen heute alles nur noch nebenher. Wir streamen und scrollen nebenbei auf dem Handy. Wir treffen Menschen und checken nebenher Mails, wir gehen Skifahren und posieren am Hang für das beste Bild.

Wir setzen uns einem unfassbaren Performance-Druck aus, was unglaublich anstrengend ist. Ein Essen wird schnell kalt, bis das perfekte Foto davon gemacht ist. Und wie viel man wirklich von der Mona Lisa mitbekommt, wenn man sich in den Wettkampf mit tausend anderen Besuchern um das beste Selfie mit ihr begibt, ist fraglich.

Wir unterliegen Zwängen und sind selbst in der Freizeit nicht mehr frei. Der Erholungseffekt verpufft, wenn das Privatleben zur digitalen Show wird. Damit ist ja auch viel unbezahlte Arbeit verbunden.

 

Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

 

Wie erkenne ich, dass ich mich auf dem Weg zu einem digitalen Burnout befinde? Was sind die wichtigsten Warnsignale?

 Otto: Das Gefühl, nicht mehr runterzukommen. Überreizte, kreisende Gedanken. Schlaflosigkeit. Gerade beim Social-Media-Burnout gilt: Wer ständig über den nächsten Post nachdenkt, wer sein Leben nach der digitalen Inszenierung ausrichtet, wer sich schlecht fühlt, wenn die Likes ausbleiben, wer Panik hat, dass Follower abspringen, der ist gefährdet.

Vor allem aber steigt auch der berufliche Stresspegel seitdem wir pandemiebedingt alle im Homeoffice sitzen. Wenn der Arbeitslaptop auch privat genutzt wird und die Mails noch nach Feierabend einrauschen, ist klar, dass die Nervosität steigt. Wenn Arbeit aber krank macht, ist Gehalt nur noch Schmerzensgeld.

Und wir können uns entweder fragen, ab wann es nicht mehr wehtut. Oder endlich erkennen, dass wir zu einem neuen, gesunden digitalen Arbeitsmodus finden müssen. Ich kann jedem nur raten, sensibel zu bleiben. Man spürt ja eigentlich, wenn es einem nicht mehr gutgeht. Doch leider neigen wir in unserer Leistungsgesellschaft dazu, die Signale zu überhören, weil sie oft als Schwäche gesehen werden.

Das Thema Mental Health muss viel präsenter werden. Wir müssen endlich über psychische Erkrankungen reden, über Ängste, Depressionen, Burnout, die nicht nur, aber eben auch mit unserer digitalen Mediennutzung zu tun haben.

Es ist vollkommen widernatürlich, dass von uns verlangt wird, auch um 22 Uhr noch erreichbar zu sein, das ist ja eine Form der Überwachung. Wann ist man im Gefängnis? Wenn man weggesperrt wird und hinter einer Zelle verschwindet? Oder wenn man vollkommen sichtbar ist? Foucault beschreibt Letzteres in seinem Konzept des Panoptismus.

Derzeit machen wir uns einerseits selbst freiwillig sichtbar, etwa wenn wir auf Social Media unsere Urlaubsfotos online stellen. Andererseits dringt aber auch das Berufliche maximal ins Private ein, der Chef sieht plötzlich das Wohnzimmer im Hintergrund. Aber man muss es ihm ja zumindest nicht nach Feierabend zeigen. Wir brauchen Grenzen, wir müssen den Vorhang dieses medialen Theaters selbstbestimmt schließen dürfen.

Was können wir gegen die digitale Vergiftung von Körper, Geist und Seele tun? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Was genau ist Digital Detox?

Otto: Digital Detox ist im digitalen Zeitalter einer der wichtigsten Schlüssel zur gesunden Seele. Erstmal heißt es nichts anderes als „digitale Entgiftung“ und natürlich macht auch bei der Bildschirmzeit die Dosis das Gift. Es spricht überhaupt nichts gegen ein gesundes Maß an Online.

Wie viel aber ist gesund? Es kommt selbstverständlich auch auf das Wie an. Wenn ich fünf Stunden fokussiert an einem Dokument arbeite und danach beglückt über das Geschaffene aufstehe, ist das super. Wenn ich in derselben Zeit sinnlos scrolle, fühle ich mich danach erschöpft, gestresst und leer.

Aber klar gibt es Richtmaße und ich persönlich denke, dass jede Minute weniger vorm Bildschirm eine gewonnene ist und dass man sich nach einer Stunde an der frischen Luft immer besser als nach einer Stunde YouTube fühlt.

Zunächst brauchen wir dringend ein neues Problembewusstsein: Wir müssen erkennen, dass Handysucht eine der schlimmsten kollektiven Süchte ist. Das amerikanische Suchtzentrum schätzt, dass bereits 5 bis 10 Prozent der Amerikaner süchtig nach Social Media sind. Das ist enorm und auch bei uns sieht es nicht viel besser aus. Eine süchtige Gesellschaft ist aber keine gesunde Gesellschaft.

Die Lösung besteht darin, diese Technologien achtsam zu nutzen und ausschließlich so, dass sie uns guttun. Wer denkt über das Warum nach, bevor er sein Handy in die Hand nimmt? Wenn wir einmal innehalten, bevor wir das Smartphone benutzen und uns fragen, was unser Ziel ist, erkennen wir, dass wir meistens vollkommen grundlos online sind.

Digital Detox heißt nicht, dass man gar nicht mehr online sein darf, sondern dass man bewusst online ist und gezielt offline geht, damit sich Körper und Geist erholen können.

Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

Regelmäßig fest eingeplante digitale Auszeiten einzulegen ist sicher der beste Weg für unsere Gesundheit. Gleichzeitig ist es schwierig, nicht immer für unsere engsten Kontakte, also Kinder, Familie und Freunde erreichbar zu sein, falls jemand Hilfe braucht oder etwas passiert ist. Wie können wir diesen Konflikt lösen?

Otto: Die Auszeiten sind gerade dann heilsam, wenn wir sie mit unseren liebsten Menschen verbringen. Digital Detox verbindet. Nichts ist schöner als ein Dinner, bei dem niemand aufs Handy schaut, ein Urlaub mit dem Partner, bei dem man sich wirklich kennenlernt, ein Ausflug mit der Familie, bei der weder Eltern noch Kindern am Bildschirm rumswipen. Digital Detox ermöglicht Nähe, Intimität, Verbundenheit.

Ich werde oft gefragt, wie das denn gehen soll, wo doch heute scheinbar ohne Handy nichts mehr geht. Aber ist das wirklich so? Klar, im beruflichen Alltag wird es schwer, aber am Wochenende, im Urlaub, da haben wir jedes Recht der Welt, auch einfach mal abzutauchen und uns zu erholen. Ich weiß, für viele scheint das Abschalten eine enorme Herausforderung zu sein, aber wer einmal wieder spürt, wie schön es ist, der wird es nicht mehr missen wollen.

Was erfahren wir dort, in der Stille jenseits des digitalen Lärms? Wir erfahren eine Ruhe, die wir nicht mehr kennen. Einen Frieden, den wir dringend brauchen. Jede spirituelle Praxis beginnt in der Stille. Wir gehen heute alle so sehr ins Außen, wollen unbedingt sichtbar werden, dass wir vergessen, dass der schönste Weg, den wir gehen können, der ganz leise ist, der in unser Innerstes führt.

Wer sich für eine digitale Auszeit entscheidet, zum Beispiel im Urlaub, kann sich bei Freunden und Familien abmelden und für den Fall der Fälle den Kontakt zum Hotel weitergeben. Natürlich sollte man den Zeitpunkt auch klug wählen, wenn ein Familienmitglied schwer krank oder die Frau kurz vor der Niederkunft ist, ist das natürlich nicht anzuraten.

Aber ganz allgemein gilt: Digital Detox ist ein Mindset. Das Gefühl, dass die Welt nicht ohne uns kann, findet ja nur in unserem Kopf statt. Die Realität ist herrlich ernüchternd. Sie dreht sich auch ohne uns munter weiter. Das sollte uns Gelassenheit genug geben, einfach mal unerreichbar zu sein.

Von immer mehr Fach- und Führungskräften wird erwartet, dass sie auch außerhalb der Arbeitszeiten nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub erreichbar sind – falls wichtige Fragen oder Notfälle auftauchen. Wie können wir es schaffen, Grenzen zu setzen, ohne unseren Arbeitsplatz zu riskieren?

Otto: Karl Lagerfeld sagte einmal, es sei für ihn der Höhepunkt von Luxus, nicht ständig auf die Uhr schauen oder telefonieren zu müssen. Er hat vollkommen recht. Wie also gönnt man sich diesen Luxus? Mit der richtigen Einstellung. Wer denkt, in der Arbeit unersetzbar zu sein, der irrt. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten oder der Papst sind in ihrer Funktion ersetzbar.

Aber natürlich macht es einen entscheidenden Unterschied, ob ich normaler Arbeitnehmer oder Führungskraft bin. Als Chef mag ich zwar wichtig sein, doch ich bin auf jeden Fall vertretbar. Es hilft, einen Stellvertreter zu etablieren, der in kritischen Momenten und nach klarer Absprache erreichbar ist, wenn man es selbst nicht sein kann. Die jetzige Chefdesignerin von Chanel, Virginie Viard, arbeitete jahrelang an Karl Lagerfelds Seite und hat heute seinen Platz eingenommen. Selbst Genies haben Helfer.

Die Social-Media-Nutzung birgt über den Stressfaktor hinaus noch weitere schädliche Einflüsse. Wie wirkt sich die Überflutung mit unerreichbaren Schönheitsidealen, die Vergleichbarkeit mit anderen auf unseren Selbstwert aus? Inwiefern wirken Facebook, Instagram oder TikTok auch als Ego-Booster und fördern narzisstisches Verhalten? Worauf sollten wir hier vor allem achten?

Otto: Danke für die Frage, denn sie ist enorm wichtig. Was ist schön? Die Vorstellung von Schönheit unterliegt ja kulturellen Schwankungen. In den 50ern war ein weiblicher Körper wie der von Marylin Monroe das Ideal, in den 90ern war der knabenhafte Heroin Chic um Models wie Kate Moss herum in. Und heute heißen Influencer nicht umsonst so.

Der Einfluss medialer Schönheitsbilder ist extrem und brandgefährlich. Essstörungen nehmen nachweislich zu, es gibt ganz neue Krankheitsbilder wie die sogenannte Snapchat-Dysmorphophobie, bei der sich vor allem junge Frauen ohne Beauty-Filter nicht mehr schön finden. Seitdem wir alle nur noch zoomen, steigen die Zahlen der Schönheitseingriffe, denn jeder findet seine Nase auf einmal schrecklich.

Online entsteht viel Trauma. Das Internet ist nicht zuletzt ein Schmerzkörper. Für in ihrer Identität gefestigte Erwachsene mag es egal sein, ob ein Bild 20, 50 oder 1.000 Likes hat, für unsichere Teenager kann das zur existenziellen Bedrohung werden.

Schönheit ist ja auch ein Gefühl – und viele fühlen sich nach der Nutzung von Social Media nachweislich schlecht, hässlich und minderwertig. Der Vergleich mit anderen ist fatal, in sozialen Netzwerken findet der härteste Konkurrenzkampf aller Zeiten statt. Hier gilt „survival of the most liked“. Der Selbstwert wird immer mehr von der digitalen Bestätigung abhängig gemacht und das ist so weit weg von allem, was seelisch gesund ist.

Stellen Sie sich eine Blume vor. Es ist vollkommen irrelevant, ob sie von niemandem, von hunderten oder tausenden Menschen gesehen wird. Sie blüht. Sie ist. Sie ist genug. Auch wir sind genug, so wie wir sind, ohne etwas leisten zu müssen und vor allem, ohne online irgendjemandem etwas beweisen zu müssen.

Wir müssen wieder zurückkehren zu den inneren Werten, ganz dringend, denn sonst geschieht viel Unglück. Was auf jeden Fall hilft ist, nur den Accounts zu folgen, die einem guttun. Und sich bewusst zu machen: Ich bin gewollt, ich bin geliebt, egal, wie viele Klicks oder Follower ich habe. Wir alle sind einzigartig, daher ist jeder Vergleich ohnehin sinnlos. Wir sind schön, auch ohne Filter.

 

Interview mit Dr. Daniela Otto: „Digital Detox für die Seele“

 

Mit Ihrem Ratgeber liegt das erste Buch vor, das die Trends Achtsamkeit und Digital Detox kombiniert. Was ist digitale Achtsamkeit?

Otto: Ein sanfter Zugang zur digitalen Welt, der die Selbstfürsorge an erste Stelle setzt. Wer sämtliche digitale Medien achtsam nutzt, nutzt sie so, dass sie im Einklang mit dem eigenen Seelenheil stehen.

Es geht um eine Doppeldynamik. Unsere Seele braucht weniger Internet, aber das Internet mehr Seele. Wer bewusst und mit seiner besten Intention online geht, der kann nicht nur sich selbst, sondern auch anderen etwas Gutes tun.

Wir können mehr Mitgefühl in die digitale Welt hineintragen, uns dort empathischer und achtsamer verbinden. Es kann ein hellerer, besserer Ort werden, ja ein empathischeres Netzwerk. Darum geht es mir. Wir verschicken ja ständig Nachrichten und damit Energie. Wir können auch gute Gedanken und Gefühle verschicken, in eine neue Resonanz miteinander kommen und liebevoll miteinander schwingen.

Ihr Buch enthält auch zahlreiche Übungen zu diesem Thema. Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Otto: Sie können gleich jetzt ihr Handy ausschalten und einfach mal in sich hinein spüren, wie Sie sich ohne fühlen. Das ist schon mal ein guter Anfang, um die eigene Beziehung zu dieser diffizilen und emotional hochaufgeladenen Maschine zu hinterfragen. Und wenn Sie dann ganz mutig sind, gehen Sie ohne Smartphone spazieren – einfach mal drauflos und schauen, was passiert.

Welche Strategie wenden Sie selbst in Ihrem Alltag an, um eine Balance zwischen den Chancen und Risiken der digitalen Erreichbarkeit zu finden? Fällt es Ihnen auch manchmal schwer, Ihre Regeln wirklich immer einzuhalten?

Otto: Sicher will ein Wegweiser sein, der nicht einfach nur dasteht, sondern auch selbst in die Richtung geht, in die er zeigt. Und ich bin grundsätzlich ein achtsamer Mensch, der gar nicht anders kann, als der Seele zu folgen. Ich bin hochsensibel und jedes Handeln gegen meine Intuition fühlt sich falsch an. Insofern kommen meine Achtsamkeitsübungen wirklich von Herzen und ich wünsche allen meinen Leserinnen und Lesern, dass sie dadurch in tieferen Kontakt mit sich selbst kommen.

Aber klar, auch ich habe mal Tage, an denen die Bildschirmzeit höher ist, als sie sein sollte. Ich versuche das dann aber auszugleichen und baue zum Beispiel einen ganzen Tag offline am Wochenende ein – gerade der Sonntag eignet sich dafür gut – und halte somit die Balance.

Vor allem achte ich auf feste Auszeiten, ich mache quasi digitales Intervallfasten. Nach 21 Uhr und vor 8 Uhr kommt bei mir gar nichts durch, nur für wenige ausgewählte Kontakte. Wenn ich schreibe, dann ist grundsätzlich das Handy aus und der Bildschirm befindet sich im Fokus-Modus, also ohne Einblendungen und E-Mails.

Was ist abschließend Ihr wichtigster Rat an die Leser?

 Otto: Folgen Sie Ihrer Seele. Immer.

Was ist für Sie persönlich der Sinn des Lebens?

 Otto: Der Moment, in dem ich eine weiche warme Pferdeschnauze streichle und ich im Atem des Tieres die ganze Kraft und Sanftheit des Lebens spüren kann. Aber letztlich ist der Sinn des Lebens für mich die Liebe. Immer die Liebe, allein und einzig die Liebe und nichts sonst.

Weitere Informationen unter: www.danielaotto.com

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