Das traditionsreiche Cafe Luitpold in München verbindet Kulinarik und Kultur: Im „Salon Luitpold“ finden regelmäßig hochkarätig besetzte Diskussionsrunden rund um die Themen Philosophie, Wirtschaft und Politik statt. Jetzt hat Cafe Luitpold-Pächter, Bäckermeister, Volkswirt und Diplom-Kaufmann Dr. Stephan Meier auch ein neues, größeres Veranstaltungsformat gestartet. In Kooperation mit „Street Philosophy“ findet im November „Beyond Good – Die Ethikkonferenz“ im Literaturhaus statt. Zu den Referenten zählen etwa Prof. Julian Nida-Rümelin, Prof. Richard David Precht, Kardinal Marx, Christian Ude, Prof. Patrizia Nanz sowie Ludwig Prinz von Bayern. Im Interview spricht Dr. Stephan Meier über die Verbindung von Philosophie und Kaffeehauskultur, die Konzepte hinter „Salon Luitpold“ und „Beyond Good“, sowie den Sinn des Lebens.
Herr Dr. Meier, was verbindet die Kaffeehauskultur mit politischem Diskurs und Philosophie?
Meier: „Das Leben ist eine Begleiterscheinung zum Kaffeehaus“, hat der Dichter und Anarchist Erich Mühsam – ein Stammgast im Cafe Luitpold – Anfang des 20. Jahrhunderts in unser Gästebuch geschrieben. Dieser Satz bringt es auf den Punkt.
Die traditionellen Kaffeehäuser in den Metropolen waren schon immer Treffpunkt und Ort des öffentlichen Diskurses, in dem Bohèmiens, Intellektuelle und Philosophen ein- und ausgingen. Man denke nur etwa an das Café de Flore oder Les Deux Magots in Paris, in denen Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Pablo Picasso, Ernest Hemingway oder Jean Cocteau verkehrten.
Auch das Cafe Luitpold soll als Kaffeehaus nicht nur eine Stätte der Kulinarik, sondern auch der Kultur sein. Wir wollen alle Sinne ansprechen, auch den Geist. Deswegen sind wir breit aufgestellt und bieten verschiedenste Konzepte an: Von Musik-Matinées, über Ateliers zum Pralinenherstellen bis hin zu Salons, die Themenbereiche wie Politik, Philosophie und Kunst abdecken.
Wir lassen uns dabei inspirieren von dem Philosophen Jürgen Habermas, der sich in seiner Diskursethik auch mit der Kaffehauskultur beschäftigt hat. Er schreibt sinngemäß: Es ist wichtig für die Demokratie, dass wohlinformierte Bürger in einem Kaffeehaus gleichberechtigt, herrschaftsfrei und offen über Tischgrenzen hinweg diskutieren können. Und diesem Ideal möchten wir möglichst nahe kommen.
Was zeichnet das traditionsreiche Cafe Luitpold in München aus? Wofür steht es heute?
Meier: Das Cafe Luitpold ist eine traditionsreiche Münchener Institution, das 1888 als klassisches Kaffeehaus der Gründerzeit eröffnet wurde. Es stand auf einer Stufe mit dem Wiener Café Central oder dem Budapester Café New York. Schon damals war das Cafe Luitpold auch Treffpunkt von Künstlern, Dichtern und Denkern, darunter der Lyriker Stefan George, der Dramatiker Frank Wedekind oder die Redaktionsmitglieder des „Simplicissimus“. Heute ist es nach mehreren Umbauten ein Traditionshaus von internationalem Rang mit modernem Ambiente, inklusive eines mehrfach vom Guide Michelin sowie dem Feinschmecker ausgezeichneten Restaurants.
Ihr Lebenslauf liest sich spannend und ungewöhnlich: Sie sind Bäckermeister, Konditor sowie promovierter Volkswirt, haben bei Roland Berger in Paris gearbeitet und sind heute Pächter des Cafe Luitpold. Wie kam es dazu?
Meier: Ich bin in einem traditionsreichen Familienbetrieb aufgewachsen, der 1805 gegründeten Bäckerei Meier in Starnberg, die einst auch zu den königlich bayerischen Hoflieferanten zählte. Auf Wunsch meiner Eltern absolvierte ich zunächst eine Bäckerlehre, die erste Hälfte im elterlichen Betrieb, die zweite in der damals besten deutschen Demeter Bäckerei in Koblenz.
Nach meinem BWL- und VWL-Studium wollte ich in die große weite Welt und arbeitete einige Jahre bei der Strategieberatung Roland Berger in Paris. Nach dem überraschenden Tod meiner Mutter stand ich jedoch in der Pflicht, in die Bäckerei zurückzukehren. Ich habe meinen Vater im betriebswirtschaftlichen Bereich unterstützt, meinen Bäckermeister gemacht und 2005 offiziell die Geschäftsführung übernommen.
Aber es war schon ein Kulturschock, von dem internationalen Job als Unternehmensberater in einen regionalen Handwerksbetrieb zu wechseln. Um eine intellektuelle Herausforderung und die Verbindung zu anderen Welten aufrechtzuerhalten, habe ich parallel dazu meine Doktorarbeit geschrieben. Gleichzeitig habe ich den elterlichen Betrieb weiterentwickelt, der Umsatz legte jedes Jahr zweistellig zu, die Zahl der Filialen wuchs auf 20.
Was verbindet Sie persönlich mit dem Thema Philosophie?
Meier: Ich habe mich schon immer sehr für philosophische Fragestellungen interessiert. Besonders geprägt hat mich die Zeit in Paris, in der ich Institutionen wie das Café philosophique kennengelernt habe. Der Philosoph Marc Sautet hatte diese philosophischen Diskussionsrunden 1992 in Pariser Cafés gestartet, später entstanden rund 100 „cafés-philo“ in ganz Frankreich.
Das zeigt auch, dass der Bezug zur Philosophie in Frankreich wesentlich stärker in der Gesellschaft verankert ist, als in Deutschland. Von diesen Erfahrungen inspiriert, habe ich der Philosophie in der Veranstaltungsreihe „Salon im Cafe Luitpold“ eine große Rolle eingeräumt.
Auch um mit meinen hochkarätigen Salongästen auf Augenhöhe diskutieren zu können, habe ich vor einiger Zeit ein Philosophiestudium begonnen: Den Executive Master-Studiengang „Philosophie Politik Wirtschaft“ an der LMU München. Auch der Austausch mit den etwa 20 Studenten, die alle über Berufserfahrung aus verschiedensten Bereichen verfügen, ist sehr anregend und eröffnet neue Denkperspektiven.
2009 haben Sie als Pächter das traditionsreiche Münchner Cafe Luitpold in der Brienner Straße übernommen. Was hat Sie daran besonders gereizt?
Meier: Mit dem Cafe Luitpold war unsere Familie eng verbunden – viele Familienfeste wurden dort gefeiert und es war auch immer ein Vorbild für meine Eltern. Meine Mutter hatte Ihre Lehre dort absolviert. Schließlich bewarb ich mich und wurde im Juli 2009 neuer Pächter des Cafe Luitpold. Damit hat sich in gewisser Weise auch ein Traum von mir erfüllt.
Welche Philosophie steht hinter Ihrer Veranstaltungsreihe „Salon Luitpold“?
Meier: Vor meiner Übernahme des Cafes im Juli 2009 gab es bereits kulturelle Veranstaltungen wie beispielsweise die „Luitpold Lounge“, doch damals stand eher das Thema Kunst im Fokus. Ich wollte die kulturellen Events ausbauen und habe relativ schnell eine neue Reihe gestartet unter dem Namen „Was die Welt schön macht, WdWsm“, eine Mischung aus Kulinarik, Kunst und Literatur. Sternekoch Otto Koch hat neue Geschmackserlebnisse kreiert, gleichzeitig fanden Diskussionen statt.
2010 begann eine neue Zeitrechnung, als der „Salon Luitpold“ als neues Format mit der Unterstützung von Nan Mellinger und dem Luitpoldblock an den Start ging. Die Idee dahinter sind hochkarätig besetzte abendliche Diskussionsrunden, die eine große Bandbreite an gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und philosophischen Themen abdecken. Ziel ist es, sinnhafte, konstruktive Perspektiven und Lösungsansätze zu aktuellen Herausforderungen aufzuzeigen. Im Schnitt finden ca. 20 Salons im Jahr statt, bis auf eine Pause im August und Dezember also etwa zwei Salons pro Monat.
Welches Themenspektrum decken Sie ab?
Meier: Das Themenspektrum rund um Politik, Wirtschaft und Philosophie ist sehr breit gefächert und reicht bisher etwa von „Karl Marx, die Bourgeoisie und die 99 %“, „Frauen verändern Wirtschaft“ und „Krise als Chance“, über „Macht und Kreativität“, „Ethik und Design“ bis hin zu „Was macht das Geld mit der Liebe?“ oder „Welche Zukunft für Europa?“.
Besonders wichtig ist mir dabei, eine Mischung aus Theorie und Praxis herzustellen und Diskussionen zwischen Persönlichkeiten anzuregen, die unterschiedliche Meinungen zu einem Thema vertreten.
Zu den Referenten zählten etwa der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel, Anselm Bilgri, Philosophie-Professor Birger P. Priddat, Wirtschaftsethiker Prof. Karl Homann, der langjährige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger, Politikwissenschaftler Prof. Klaus Goetz, der dänische Star-Architekt Jan Gehl, Molekularbiologe Thomas Schutz, Frank Augustin, Chefredakteur des philosophischen Wirtschaftsmagazins agora42, Alexandra Borchardt, Gründungsmitglied der Financial Times Deutschland, oder Parteichef Christian Lindner.
Wie stark sind Sie selbst in die Salons im Cafe Luitpold involviert?
Meier: Für die Durchführung der Salons hatten wir gemeinsam mit dem Luitpoldblock zunächst die Sachbuch-Autorin und Kulturmanagerin Nan Mellinger eingestellt. Ende 2015 habe ich die Organisation des Salons selbst in die Hände genommen, mit allem, was dazugehört: Von der Themenauswahl über die Organisation bis hin zur Pressearbeit.
Hin und wieder moderiere ich die Diskussionsrunden auch selbst. Ich habe viel Spaß daran und spüre, dass wir damit den Puls der Zeit treffen. In den letzten zwei Jahren konnten wir die Zahl der Besucher im Durchschnitt auf etwa 120 Teilnehmer pro Abend verdoppeln.
Zusammen mit „Street Philosophy“ haben Sie im Mai das Unternehmen „Beyond Good“ ins Leben gerufen. Was hat Sie dazu inspiriert? Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Meier: Dieses Jahr war gekennzeichnet von einem Umbruch in meinem Leben. Im Frühjahr habe ich die Bäckermeisterei Meier verkauft – die Filialen wurden von anderen Bäckereien übernommen. Es war sicher nicht einfach für mich, den Familienbetrieb in andere Hände zu geben. Doch ich habe mich dazu entschieden, meine Energie auf das Cafe Luitpold und den Ausbau der kulturellen Aktivitäten zu fokussieren. Man muss dahin gehen, wo einen die Leidenschaft hintreibt, und die hat dann trotz aller Erfolge in der Bäckerei wohl nicht ausgereicht.
In dieser Phase entstand die Idee, die philosophischen Veranstaltungen über die Salons im Cafe Luitpold hinaus zu intensivieren und auf eine neue, größere Ebene zu führen. So haben wir im Mai zusammen mit Julia Kalmund von „Street Philosophy“ das Gemeinschaftsunternehmen „Beyond Good“ ins Leben gerufen.
Ziel von „Beyond Good“ ist es, Menschen mit hochkarätigen, tiefgründigen und praxisnahen Events Impulse für ein gelungenes Leben zu geben. Der Schwerpunkt liegt auf Philosophie, in Zukunft soll auch das Thema Neurowissenschaften stärker einbezogen werden. Wir wollen vermitteln, dass es Sinn macht, sich mit philosophischen Fragen zu beschäftigen und Menschen jenseits von Wissenschaft und Akademie erreichen, die sich sonst nicht so intensiv mit diesen Themen beschäftigen würden.
Am 9.11.2017 findet „Beyond Good – Die Ethikkonferenz“ statt. Welches Konzept verfolgen Sie, welche Themen stehen im Vordergrund?
Meier: Das erste Projekt von „Beyond Good“ ist die Ethikkonferenz am 9.11.2017 im Literaturhaus in München, unweit des Cafe Luitpold am Salvatorplatz, für 350 Gäste. Unsere Zeit ist geprägt von Umbrüchen durch Themen wie die Digitalisierung, zunehmenden Populismus und eine multipolare Welt, in der der Durst nach Sinn, Gerechtigkeit, Werten und Ethik immer größer wird. Ziel der Veranstaltung ist es, wichtige Fragen, die uns alle bewegen, zu stellen und Orientierung zu geben, wie wir selbst im Alltag handeln sollten.
Dabei bringen wir die führenden Köpfe zu den Hauptachsen der Ethik zusammen und wollen möglichst viele Lebensbereiche abdecken. Jeder Referent hält einen 20-minütigen Impulsvortrag. Auf der anschließenden „Finissage – Food-for-Thought“ im Cafe Luitpold mit Musik und „Get together“ werden die Protagonisten dann fassbar sein, und es gibt die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen.
Als Ergänzung zur Konferenz gibt es am Samstag noch die Möglichkeit, einzelne Themen in verschiedenen Master Classes zu vertiefen. Geleitet von jeweils einem Philosoph und einem Praktiker haben sie einen interaktiven Workshop-Charakter sind auf jeweils maximal 30 Personen beschränkt. Unser Ziel ist, dass jeder Teilnehmer für ihn wichtige Impulse mit nach Hause nimmt, die ihm ermöglichen, ein gelungenes Leben zu führen.
„Beyond Good – Ethikkonferenz“, Referenten und Themen:
- Prof. Dr. Patrizia Nanz: Demokratische Werte
- Prof. Richard David Precht: Tier-Ethik
- Kardinal Reinhard Marx: Christliche Werte
- Juliane Leopold: Wahrheit und Lüge
- Dr. Nadja Tschirner: Chancengleichheit
- Staatsminister Dr. Gerd Müller: Möglichkeiten einer gerechten Globalisierung
- Axel Hacke: Anstand
- Prof. Dr. Armin Nassehi: Ethisches Handeln
- Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin: Grenzen
- Ludwig Prinz von Bayern: Entwicklungshilfe-Projekt in Afrika
Was ist ihr ganz persönlicher Sinn des Lebens?
Meier: Ich möchte Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Lebensgeschichten zusammenbringen und zum Austausch anregen, um sich gegenseitig zu befruchten. Ich versuche das mit dem Kaffeehaus umzusetzen und Oasen für den Alltag zu schaffen. Mit den Salons möchte ich ein Diskussions-Forum für Philosophie, Wirtschaft und Politik bieten, mit „Beyond Good“ das Ganze nochmal auf eine größere Ebene heben. Der Sinn meines Lebens ist es, Menschen Impulse zu geben, um ein gelingenderes Leben zu führen.
Das Interview führte Markus Hofelich.
Weitere Informationen: Salons im Cafe Luitpold
Bilder: Cafe Luitpold, Dr. Stephan Meier
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