Interview mit Guido Ernst Hannig: „Mit dem WLS-Sinn-Kompass zu Erfolg und Erfüllung im Beruf“

by Hofelich

Viele Menschen sind unzufrieden mit ihrer Arbeit und wünschen sich mehr Erfüllung und Sinn in einem Beruf, der ihren persönlichen Talenten entspricht. Der Diplom-Betriebswirt und Berufscoach Guido Ernst Hannig ist ein Experte für die berufliche Neuorientierung. In seinem Buch „Ja! Es gibt den Job, der wirklich zu mir passt!: Mit dem WLS-Sinn-Kompass zu Erfolg und Erfüllung im Beruf“ zeigt er auf, wie der Weg zur wahren Berufung gelingen kann. Im Interview erklärt Hannig, was einen sinnstiftenden Job ausmacht, wie der „WLS-Sinn-Kompass“ funktioniert und wie wir unsere Mission im Leben finden können.

Viele Menschen fühlen sich heute in ihrem Beruf ausgebrannt und sinnentleert. Worin sehen Sie die Hauptursachen dafür?

Hannig: Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass die Zahl der Burnout-Fälle, die mit berufsbedingten psychischen Erkrankungen einhergehen, immer mehr zunimmt. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und können bei einigen Menschen in chronischer Überbelastung liegen. Bei anderen ist das Feuer für die Arbeit erloschen, sie haben einfach keine Lust mehr auf ihren Job. Doch wie kann es dazu kommen?

Der Begriff „Burnout“ (auf Deutsch: „Ausbrennen“) beinhaltet das Symbol des Feuers, das für mich im positiven Sinne für das Leben steht. Ich denke dabei an Wärme, Leidenschaft, Lebendigkeit und Dynamik. Die rot-orange Farbe des Feuers symbolisiert für mich das, was wir in Liebe tun. Auf den Beruf übertragen bedeutet es, für ein Projekt zu brennen oder aus dem Herzen heraus zu handeln.

Zudem ist das Licht des Feuers erhellend. Der Mensch brachte das Feuer auf Leuchttürme, um Orientierung zu geben oder benutzte es als Fackel, um den richtigen Weg zu finden. Menschen, die in diesem Sinne für ihren Beruf brennen, sind mit sich selbst im Reinen, weil sie eine innere Orientierung und Zugehörigkeit im Job gefunden haben. Das wirkt sich meist sehr positiv auf ihre psychische Gesundheit aus. Dagegen gibt es auch viele Berufstätige, in denen das Feuer der Leidenschaft ausgegangen ist.

Ein häufiges Missverständnis ist meiner Meinung nach, dass wir die Frage nach dem inneren Feuer und der Leidenschaft zu sehr auf das Privatleben beziehen. Dagegen erfolgt die Berufswahl eher nach sachlichen Kriterien und die Gestaltung der Karriere wird von einem egozentrierten Denken dominiert. Dabei ist das Berufsleben in Wirklichkeit mit Beziehungen verbunden, in erster Linie auch mit einer Beziehung zu uns selbst. Ich höre oft von Burnout-Betroffenen, dass sie unter einer fehlenden Beziehung zu ihrem wahren Selbst leiden, was aus meiner Sicht mit einer Sinnkrise gleichzusetzen ist.

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Viele Menschen fühlen sich heute in ihrem Beruf ausgebrannt und sinnentleert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicher hat es schon immer Sinnkrisen und Burnout-Fälle gegeben, denn berufstätige Menschen standen zu allen Zeiten unter großem Druck. Unsere Eltern und Großeltern etwa waren nach den beiden Weltkriegen mit ausgebrannten Städten konfrontiert. Um wieder zurück ins Leben zu finden, mussten sich die Menschen einen Sinn geben und gemeinsam an einem Strang ziehen. Damals spielten Gemeinschaftssinn, Beziehungen und Zugehörigkeit als sinnstiftendes Momentum eine besondere Rolle, die Wärme und Orientierung gaben.

Auch ganz generell sind diese Gefühle von Verbundenheit und Zusammengehörigkeit sehr bedeutend für einen echten Sinn im Berufsleben. Wir alle brauchen Gemeinschaft, Klarheit und Orientierung. Selbst wenn heute die Herausforderungen in unserer globalisierten und digitalisierten Arbeitswelt völlig anders sind als in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Fragen nach dem beruflichen Sinn bleiben: Was liebe ich zu tun? Wer bin ich wirklich? Was benötige ich für ein erfülltes Leben? Wie kann ich persönlich zu einer besseren Welt beitragen?

Was zeichnet einen sinnerfüllten Job aus? Wie wichtig ist es für jeden Menschen, seine Berufung und einen echten Sinn im Arbeitsleben zu finden?

Hannig: Der wichtigste Ausgangspunkt für den Weg zu einem sinnerfüllten Arbeitsleben ist zunächst die Klärung der eigenen Berufung. Wer sie findet, entfacht ein zündendes Feuer in sich. Auch wenn dieses Feuer am Anfang noch nicht allzu groß sein mag und noch weitere Schritte zum Ziel folgen müssen, so erzeugt doch das Finden der Berufung im Menschen ein liebendes Gefühl zu sich selbst und gegenüber dem Leben.

Die eigene Berufung sorgt als Ausgangspunkt des Weges für Klarheit und Orientierung – wie das Feuer auf einem Leuchtturm den Schiffen den richtigen Weg weist. Ein Beruf, der zur Berufung passt, schafft nicht nur Nahrung für das irdische Leben, sondern auch für die Seele. Von der Aufgabe geht ein sinnstiftendes Momentum aus und gleichzeitig nutzen unsere Stärken und Talente auch anderen Menschen. Denn auf diese Weise sind wir in dem Bewusstsein tätig, aktiv an einer besseren Welt mitzuwirken.

 

Sinn finden im Job, Interview Hannig

Was hat Sie dazu bewogen, das Buch „Ja! Es gibt den Job, der wirklich zu mir passt!: Mit dem WLS-Sinn-Kompass zu Erfolg und Erfüllung im Beruf“ zu schreiben?

Hannig: Mir war es wichtig, mit dem „Work-Life-Sense“-Ansatz effektive Komponenten aufzuzeigen, mit denen jeder seine Berufung finden kann. Dabei handelt es sich um einen Weg des „sowohl, als auch“, bei dem es gleichermaßen um das Arbeits- und das Privatleben geht. Da das Berufsleben zeitlich den größten Anteil in unserem Leben einnimmt, bin ich der festen Überzeugung, dass wir uns alle der Mühe stellen sollten, einen Beruf zu finden, der unserer Berufung wenigstens annähernd entspricht.

Das beginnt mit einer liebenden Beziehung zu uns selbst, einschließlich all unserer ureigenen Anlagen, Begabungen und Talente. Diese innere Verbundenheit haben Berufstätige in einer Sinnkrise jedoch meist verloren. Mein Anliegen ist es, diesen Menschen zu helfen, ihren Sinn in der Arbeit wiederzufinden. Der Begriff „Job“ im Buchtitel soll dabei nicht missverstanden werden, weil er ja meist das Geldverdienen und Karrierestrategien betont. Doch diese Punkte stehen beim Thema Berufung nicht im Vordergrund.

 

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Buchcover Guido Ernst Hannig, „Ja! Es gibt den Job, der wirklich zu mir passt!: Mit dem WLS-Sinn-Kompass zu Erfolg und Erfüllung im Beruf“

 

Nicht jeder hat bereits eine zündende Idee für den eigenen Traumjob oder das passende Konzept. Wie kann ich erkennen, wo meine wahre Berufung liegt?

Hannig: Zündende Ideen oder wahre Lebensträume entstehen ja meist nicht durch rein rationales Nachdenken, sondern vielmehr durch Intuition. Ein Vergleich mit Erfindern mag das deutlich machen. Diese sind ja bekanntlich gleichzeitig Träumer, Tüftler und Suchende. Aber selten sind sie passiv und im Wartestand, denn eine entscheidende Idee fällt selten vom Himmel. Der Erfinder beschäftigt sich systematisch mit vielen Details, dabei ist er kreativ und legt wie ein Puzzle-Spieler sorgsam die passenden Steine zusammen. Bis nach langer Zeit des Ausprobierens plötzlich der entscheidende Geistesblitz und Durchbruch kommt.

Ähnlich verhält es sich bei dem Erkennen der eigenen Berufung. Wir müssen uns zuerst spielerisch und systematisch mit dem beschäftigen, was das Bild einer Berufung ausmacht. Denn es setzt sich aus verschiedenen Aspekten und Antworten zusammen, die nur wir selbst geben können. Doch nach einer gewissen Zeit wird das Bild zu uns sprechen. Und uns einen Weg zum Beruf weisen, der die Seele, die geschenkten Gaben und die Möglichkeiten miteinander verbindet.

Als zentrales Tool für den Weg zur Berufung haben Sie den „WLS-Sinn-Kompass“ entwickelt. Was sind die wichtigsten Kernelemente?

Hannig: Der „WLS-Sinnkompass“ verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz beim Klärungs- und Findungsprozess der Berufung, der die Menschen ermutigen soll. Ich habe ihn ursprünglich als zentrales Tool für meine Seminare und Workshops entwickelt, das ich im Buch an meine Leser weitergebe. Es ist ein intuitives Werkzeug, das jedem hilft, sich der eigenen Berufung in vier Schritten zu nähern: Motivation, Bestimmung, Leitbild und Mission.

Die wichtigsten Kernelemente des „Work-Life-Sense“-Ansatzes sind folgende:
  • Work (W) steht für eine ökonomisch sinnvolle Bestimmung von Berufs- oder Geschäftszielen. Der Mensch hat eine einzigartige Vielfalt an Bedürfnissen, die er mit einem erfolgreichen beruflichen Wirken erfüllen möchte.
  • Life (L) steht für das Streben nach Wohlbefinden. Jeder Mensch ist glücklich und gesund, wenn er eine Harmonie mit sich und seiner Schöpferkraft herstellen kann. Arbeit hat somit auch jenseits der Wirtschaftlichkeit eine konstruktive gesundheitsfördernde Seite.
  • Sinn (S) steht für die Verbindung und Beziehung zu einer tieferen Energie. Ein Mensch arbeitet sinnstiftend, wenn er sein wahres Selbst durch Liebe und Freude spürt.

Die ersten Schritte dabei sind Motivation und Bestimmung. Wie kann ich diese finden?

Hannig: Im ersten Schritt, der Motivation, steht das Bewegen von inneren Bildern im Vordergrund. Die Frage, was uns innerlich auf natürliche Weise bewegt und antreibt, hängt eng mit unseren Lebensmotiven zusammen. Es geht darum zu erkennen, wer wir wirklich sind, denn diese Wahrheit macht uns frei.

Wenn wir die Fragen zu unserem wahren Selbst in Liebe beantworten können, dann spüren wir die Kraft zum natürlichen Aufbruch. Tritt in den Antworten dagegen eine Angst vor dem Leben zutage, dann dirigiert das Ego und setzt auf Rettungsmaßnahmen. Am Ende ist die einzigartige Motivationsstruktur im erlösten Zustand ein Antriebsprogramm der Selbstliebe. Und diese Selbstliebe ist zentraler Bestandteil in allen weiteren Schritten.

Beim nächsten Schritt der Bestimmungsklärung begegnen wir Kindheitsträumen sowie prägenden Menschen und inspirierenden Ereignissen aus unserer Vergangenheit. Dabei geht es um unsere kulturelle und familiäre Herkunft, aber auch um schmerzhafte Erfahrungen, die auf unsere Lebensaufgabe hinweisen können.

Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit ist jedoch kein therapeutischer Prozess, in dem wir alle Erlebnisse detailliert aufarbeiten, verstehen oder integrieren sollen. Sondern sie dient vielmehr dazu, auf humorvolle Weise etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen. Denn Lichtblicke aus frühen Lebensphasen können wichtige positive Verbindungslinien zur Gegenwart aufzeigen.

Wie wichtig ist es für diesen Prozess, auch sein Leitbild und eine Mission im Leben zu erkennen?

Hannig: Die beiden weiteren Schritte im WLS-Sinnkompass bestehen aus Zielfindungsmethoden, die bei der Suche nach der Berufung notwendig sind. Es geht um das Aufspüren der eigenen Talente, Stärken und Neigungen. Es liegt auf der Hand, dass ein starkes Bewusstsein für das eigene Fähigkeitsprofil viele Türen öffnen kann.

Wer seine Wesensmerkmale und Interessen überzeugend aufzeigen kann, wird in Bewerbungsgesprächen erfolgreicher auftreten. Wer dagegen die eigene Begabung nicht kennt oder anzweifelt, wird wenig Selbstvertrauen vermitteln. Darüber hinaus ist die Stärkung der persönlichen Willenskraft sehr wichtig für die Überwindung von Krisen und Sackgassen.

Bei der Suche nach dem Leitbild oder der Mission im Leben spielt die Liebe eine wichtige Rolle. Mit dem Wort Berufung verbinde ich persönlich einen Ruf, der aus unserem wahren Selbst, aus der Liebe in uns kommt. Andere spirituell ausgerichtete Berufungs-Coaches verwenden eher Begriffe wie Seele, Herz oder Begeisterung.

Für mich ist jedoch die Liebe das passendste Wort, das die Berufung beschreibt. Sie umfasst die universale Liebe sowie die Liebe zum Nächsten und zum Selbst. Die Berufung verbinde ich mit einem Auftrag an uns, diesem Dreiklang der Liebe im Berufsleben gerecht zu werden. Um dies zu erkennen, ist meist ein fundamentaler Perspektivwechsel erforderlich, der eher auf einem Pilgerweg oder bei einem Klosterwochenende vollzogen werden kann, als im stressigen Alltag in gewohnter Umgebung.

Wichtig dabei ist eine echte Hingabe: Die Bereitschaft, sich dieser Vorstellung von Liebe wirklich hinzugeben. Sie ist notwendig, um unser wahres Leitbild oder unsere Mission zu finden. Diese Spurensuche in einer besinnlichen Atmosphäre führt auch eher zu einer Potentialbestimmung in Verbindung mit dem Sinn.

In dem Moment vollzieht sich der Perspektivwechsel von der Zukunft und Vergangenheit in die Gegenwart. „Der Diamant des wahren Selbst soll die Führung wieder übernehmen“, wie es der von mir geschätzte Franziskaner Richard Rohr in seinen Büchern betont.

 

Inspiration für den Jobwechsel finden

Wie kann man den Zielkonflikt zwischen Verwirklichung seines Lebenstraumes und Geldverdienen lösen?

Hannig: Natürlich können diese Zielkonflikte auftauchen, wenn aus einem persönlichen Traum ein wohlüberlegtes Berufsziel geworden ist. Doch meiner Ansicht nach entstehen diese häufiger, wenn sich das Berufsziel vorschnell am Geldverdienen ausrichtet und dabei der Wesenskern vernachlässigt wird. Geldverdienen ist ja nicht nur eine Frage der richtigen Managementtechnik. Es sind vielmehr die zum jeweiligen Berufstätigen passenden, durchdachten und langfristigen Strategien, die das Geldverdienen möglich machen.

Ich erinnere mich gut an die Geschichte eines jungen Mannes, der mich gegen Ende seines Studiums aufsuchte. Der Rat seiner Eltern und die Aussichten auf eine lukrative Karriere hatten ihn zu einem Maschinenbaustudium geführt. Obwohl sich seine Begeisterung für das Fach von Anfang an in Grenzen hielt, gelang ihm ein guter Abschluss. Doch auf dem Weg zum Master erlahmten seine Kräfte.

Er versuchte sich mit den schillernden Berufsaussichten junger Entwicklungs- oder Projektingenieuren zu motivieren, aber diese zündeten bei ihm immer weniger. Schließlich machte er sich Gedanken über sein bisheriges Streben und erkannte, dass er nur weitere wertvolle Lebenszeit verschwenden würde, wenn er sich ausschließlich an einem gut dotierten Job orientiert, der ihn überhaupt nicht interessiert. Kurz bevor er meinen Workshop besuchte, hatte er sich eingestanden, dass der Ingenieurberuf nicht seinem wirklichen Wesen entspricht.

Mit etwas Innenschau und einer vergleichsweise kleinen Investition glückte ihm die Kurskorrektur und er fand seine wahre Berufung in einem Lehramtsstudium, das er erfolgreich abgeschlossen hat. Zwar sind die Verdienstmöglichkeiten als Lehrer wesentlich geringer als im Maschinenbau. Doch mit Freude und Kraft wird er langfristig sein Auskommen sichern und ein sinnerfülltes Leben führen.

Welcher Ansatz steht hinter magnetischer Konzeptarbeit?

Hannig: Ein starker Magnet entwickelt eine große Anziehungskraft – das gilt auch im zwischenmenschlichen Bereich. Wenn ein Mensch eine starke und in sich stimmige emotionale Ausstrahlung hat, dann sprechen wir von Charisma. Was wirkt anziehender als jemand, der mit sich im Reinen ist?

Er scheint genau das anzuziehen, was er für die Verwirklichung seiner wahren Träume braucht. So sagte der Erfinder Thomas A. Edison, dass wir vor dem Erfinden einen Traum haben müssen. Ich spreche beim WLS-Sinn-Kompass zwar nicht von Träumen. Aber es braucht zuerst eine Berufung, von der eine Anziehungskraft ausgehen kann. Die gilt es dann systematisch zu verwirklichen.

Jede berufliche Veränderung bleibt aber einzigartig. Im Hinblick auf die persönliche Veränderung stellen sich ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Ein Kompass hilft dabei in eine Vogelperspektive zu kommen. Aber die Umsetzung der Berufung erfordert aus meiner Sicht einen Mix aus Besonnenheit und Entschiedenheit sowie aus einer Steigerung der Begeisterungsfähigkeit für das gedanklich erschaffene Berufsziel. Hinzu kommt ein kühles Augenmaß für die wirtschaftlich-technischen Konzeptaufgaben.

Team Work

Auch Sie selbst haben den Prozess einer beruflichen Neuorientierung durchlaufen. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann und BWL-Studium haben Sie in der Finanzbranche Karriere gemacht und 15 Jahre als Manager im Finanz- und Rechnungswesen gearbeitet. Wie kam der Wandel zum Berufscoach und Experten für die berufliche Veränderung zustande?

Hannig: Wie so viele Menschen im mittleren Lebensalter befand auch ich mich damals in einer Art Midlife Crisis. In den Jahren zwischen 30 und 40 stellten sich mir Fragen, die mich schon in den Ausbildungs- und Studienjahren plagten. Mir ist schon kurz vor Abschluss meines BWL-Studiums im Alter von Ende 20 klargeworden, dass mein Tun im Finanz- und Rechnungswesen ein spannungsreicher Kompromiss werden würde.

Doch der Mut zum Kurswechsel entstand erst in der Lebensmitte. Dabei half mir mein damaliger Arbeitgeber, indem er mir ein Seminar zur kritischen Selbstreflektion anbot. Ich fühlte mich dort über einen langen Zeitraum beruflich zu Hause. Neben dem wertschätzenden Arbeitsklima verschaffte mir ein gutes Einkommen Sicherheit und solide Aufbaujahre. Außerdem wurde das Unternehmen stark nach ethischen Gesichtspunkten geführt.

Ohne diese verständnisvolle Atmosphäre hätte ich sicher schon früher die Reißleine gezogen. Aber so drangen erst Jahre später die zentralen Sinn-Fragen in mein Bewusstsein: Ist dieser Job das, was ich bis zum Ende meines Berufslebens tun will? Ist das wirklich der Auftrag meiner Seele, den ich hier auf Erden erfüllen soll?

 

Guido Ernst Hannig

 

Bei diesen Sinnfragen sprechen einige von einem gordischen Knoten, den man ganz unkonventionell durchschlagen muss. Bei mir jedenfalls gab es dieses eine Ereignis nicht. Es brauchte kleine Schritte. Ich hatte Mitte 30 mit meiner Frau ein Reihenhaus gekauft, meine Tochter wurde gerade eingeschult.

Solche Verpflichtungen sind heute wie damals nicht gerade klein. Sie ermöglichen selten einen ganz großen Umbruch im Berufsleben. Gerade dann nicht, wenn das Thema Familie als Lebensumstand zur eigenen Berufung gehört. Ich sehnte mich nach persönlicher Freiheit und Gestaltungsspielräumen und so reduzierte ich die Arbeitszeit.

Mit der gewonnenen Zeit begann ich ein nebenberufliches Studium der Theologie. Ein langer Pilgerweg auf dem Jakobsweg sollte mir helfen, aus der inneren Sackgasse rauszukommen. Dabei wurde in mir der Ruf nach Verbindung von Berufung und Beruf immer lauter.

Zu dieser Zeit ging es mir ähnlich wie einigen meiner heutigen Kunden und Leser: Viele suchende Berufstätige benötigen die Selbsterkenntnis und eine innere Kraft zur Erneuerung. Wir brauchen diese Verbindung von Erkennen und Kraftgewinn, um einen echten Durchbruch zu schaffen.

Dabei kann die Krise in der Lebensmitte hilfreich sein und für den nötigen Nachdruck sorgen. Selbsterkenntnis ist zwingend erforderlich für die Willenskraft, die von existentieller Bedeutung ist. Denn mit Willenskraft kann man neue Energien freisetzen.

Nachdem sich bei mir damals der Kreis von sachlichen und persönlichen Faktoren geschlossen hatte, konnte ich mein eigenes Veränderungskonzept entwickeln und umsetzen. So machte ich mich 2007 als ganzheitlich ausgerichteter Berufs- und Gründercoach selbstständig. Etwas später kamen dann Aufträge aus dem Newplacement und der Personalvermittlung hinzu.

Was ist abschließend Ihr wichtigster Rat für Menschen, die vor einer beruflichen Neuorientierung stehen?

Hannig: Hier möchte ich gerne einen Impuls von Anselm Grün weitergeben, der den Menschen in solchen Umbruchsituationen Kraft geben kann:

Hör auf die Träume des eigenen Herzens.

Geh Deiner Sehnsucht auf den Grund.

Folge Deinem Stern.

Das wird Dein Leben verwandeln.

Anselm Grün

Neue Perspektiven erkennen

Was ist Ihr ganz persönlicher Sinn des Lebens?

Hannig: Für mich liegt der Sinn des Lebens generell darin, seine Berufung zu finden und sie auch im Berufsleben zu verwirklichen. Und dabei die Trennlinien zwischen Arbeit und Freizeit abzubauen. Das ist eine fortwährende und sicher nicht immer einfache Aufgabe. Gerade wenn es stürmisch wird, kann der persönliche Sinn Halt und Orientierung geben.

Mein ganz persönlicher Sinn des Lebens kommt sehr schön in folgendem Zitat von Hermann Hesse zum Ausdruck. Daran mag ich weiter hoffen und glauben:

Sinn erhält das Leben einzig durch die Liebe. Das heißt: je mehr wir zu lieben und uns hinzugeben fähig sind, desto sinnvoller wird unser Leben.

Hermann Hesse

Das Interview führte Markus Hofelich.

Weitere Informationen unter: www.neue-wege-zur-berufung.de
Bilder: Guido Ernst Hannig, Unsplash, Pexels

 

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