Interview mit Patrick Rottler und Leo Martin: „Die geheimen Muster der Sprache – Ein Sprachprofiler verrät, was andere wirklich sagen“

by Hofelich
Interview mit Patrick Rottler und Leo Martin: „Die geheimen Muster der Sprache – Ein Sprachprofiler verrät, was andere wirklich sagen“

Wenn Worte zu Waffen und Texte zu Tatorten werden, dann kommen Sprachprofiler zum Einsatz. Leo Martin und Patrick Rottler sind Gründer des Instituts für forensische Textanalyse und überführen die Schreiber anonymer Briefe. In Ihrem Buch „Die geheimen Muster der Sprache – Ein Sprachprofiler verrät, was andere wirklich sagen“ bieten sie in einer Mischung aus True Crime und Ratgeber einen Blick hinter die Kulissen. Dabei ergänzen sich beide in ihrer Expertise: Leo Martin war zehn Jahre lang für den deutschen Geheimdienst im Einsatz. Patrick Rottler hat Kommunikationswissenschaften studiert und ist Experte für Datenanalyse. Im Interview erklären sie, wie sie anonymen Tätern auf die Spur kommen, was die Sprache über unsere Persönlichkeit verrät und wie wir unsere Kommunikation verbessern können.

Ihr Buch ist eine gelungene Mischung aus True-Crime und Ratgeber. Wie verbinden Sie beide Bereiche?

Rottler: Danke für das Kompliment! Wir analysieren anonyme Schreiben, Drohbriefe und Erpresserbriefe. Unser Job ist es dabei, dem Täter hinter dem anonymen Text ein Gesicht zu geben. Mit jedem Fall ist natürlich auch ein ganz persönliches Schicksal verbunden. Der Täter will drohen, schaden oder verletzen, aber natürlich nicht enttarnt werden.

Deshalb verbirgt er sich im Schatten der Anonymität. Bei unseren Analysen müssen wir auf Zack sein, denn wir müssen auch damit rechnen, dass der Täter versucht, sich zu tarnen und uns zu täuschen. In unserem Buch beschreiben wir neun Fälle, von denen jeder eine überraschende Wende hatte.

Martin: Diese spannenden Fälle nutzen wir als Aufhänger für den Ratgeberteil. Wir beantworten Schritt für Schritt die Frage, wie Sie erkennen können, woran Sie bei Ihrem Gegenüber sind.

  • Meint er das, was er sagt auch wirklich so?
  • Will sie im Augenblick lieber ihre Ruhe haben, oder braucht sie Beistand?
  • Ist er tatsächlich bereit, sich voll und ganz für uns einzusetzen? Oder war das nur ein Lippenbekenntnis?

Auch wenn wir einen Einblick hinter die Kulissen der forensischen Linguistik gewähren, müssen Sie kein Fan von Germanistik oder Rechtschreibregeln sein.

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Was sind die häufigsten Szenarien oder Gründe, warum und wie anonyme Täter Menschen oder Unternehmen Schaden zufügen wollen?

Rottler: Der Erpresser will sich immer einen Vorteil verschaffen. So wird etwa ein Drohbrief geschrieben, um eine Handlung oder eine Unterlassung zu erreichen. Das Testament wird gefälscht, um das Erbe nach den eigenen Vorstellungen zu verteilen. Die Wahl eines Bürgermeisterkandidaten soll durch falsche Vorwürfe verhindert, die Reputation des Mitbewerbers durch anonyme Angriffe beschädigt werden.

Der Nachbar wird beim Jugendamt angezeigt, weil angeblich seine Kinder verwahrlosen. Oder ein Stalker will sein Opfer peinigen, indem er es in ständiger Ungewissheit lässt, wer da anonym aus dem Dunklen schießt. Das Spektrum ist nahezu endlos.

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Buch von Patrick Rottler und Leo Martin: „Die geheimen Muster der Sprache – Ein Sprachprofiler verrät, was andere wirklich sagen“

 

Was ist ein Sprachprofiler und wann kommt er zum Einsatz?

Rottler: Wir kommen immer dann zum Einsatz, wenn es einen anonymen Angriff gibt und der Täter dabei schriftlich vorgegangen ist. Unser Tatort ist also stets der Text. Unser Job ist es, den anonymen Schreiber anhand seiner Sprachmuster zu identifizieren. Also nicht durch Fingerabdrücke, DNA- oder Faserspuren oder seine Handschrift, sondern ausschließlich durch seine Sprache.

Martin: Unsere Sprachprofiler zerlegen jeden Text in seine einzelnen sprachlichen Bausteine. Daraus versuchen sie ein möglichst klares Profil zu erstellen.

  • Wie alt könnte der Täter in etwa sein?
  • Handelt es sich eher um einen Mann oder um eine Frau?
  • Verraten sprachliche Elemente etwas über seine Herkunft?
  • Seinen Bildungsgrad? Ist er introvertiert oder extrovertiert?
  • Lösungs- oder problemorientiert?

Dieses Täterprofil dient dann als Arbeitshypothese für alle weiteren Ermittlungen.

Inwiefern ist es möglich, anonymen Tätern anhand ihrer Sprachmuster auf die Spur zu kommen? Gibt es so etwas wie einen sprachlichen Fingerabdruck?

Rottler: Meist haben unsere Auftraggeber bereits einen Verdacht, wer hinter den anonymen Angriffen stecken könnte. Zum Beispiel, weil im anonymen Brief Informationen vorkommen, die nur ein ganz bestimmter Personenkreis haben kann.

Dann vergleichen wir die anonymen Schreiben mit Vergleichstexten von allen möglichen Verdächtigen. Wenn die gleichen Sprachmuster aus dem anonymen Text auch in einem der Vergleichstexte auftauchen, dann haben wir unseren Täter.

Martin: Der Fingerabdruck der Haut ist einmalig und unveränderbar. Sprache ist das nicht. Sprache verändert sich mit der Zeit, abhängig von Umfeld, Interessen und anderen Einflüssen. Deshalb ist eine Sprachanalyse deutlich aufwändiger als die Auswertung von Fingerabdrücken oder DNA-Spuren.

Um eine belastbare Aussage hinzubekommen, müssen verschiedene Qualitätsmerkmale erfüllt sein und wir müssen mit signifikanten Mustern argumentieren. Also mit besonderen Auffälligkeiten, die in der Sprache des Täters systematisch vorkommen. Das heißt, nur weil jemand zufällig mal den selben Rechtschreibfehler gemacht hat, der auch im anonymen Brief auftaucht, hat das natürlich noch keine Bedeutung.

Was ist, wenn sich der Täter bewusst verstellt?

Rottler: Das kommt in der Praxis schon mal vor. Aber nicht so oft, wie man annehmen könnte. Gelegentlich versuchen deutsche Muttersprachler, einen ausländischen Hintergrund vorzutäuschen. „Du kommen alleine. Du haben nur eine Chance!“, und so weiter. Doch wenn es um die konkrete Forderung geht, dann wird das Deutsch oft plötzlich wieder besser.

Auf einmal ist der Täter dazu in der Lage, vernünftige Haupt- und Nebensatzkonstruktionen zu bilden. Auch noch mit den Kommata an der richtigen Stelle. Das passiert ihm, weil er verstanden werden möchte. Auch gegen Ende des Textes wird das Deutsch dann oft wieder besser. Weil die Konzentration nachlässt und der Täter aus dem Muster fällt.

Martin: Verstellen kann ich nur, was mir auch bewusst ist. Ein große Vorteil für Sprachprofiler ist, dass wir unsere Sprache zum größten Teil unbewusst bilden. Bei Wortwahl, Aktiv-/Passivkonstruktionen, Interpunktion, Füllwörtern, Anreden, der Satz- und Textbildung treffen wir nicht jede einzelne Entscheidung bewusst.

Wir folgen dabei unbewussten Mustern, die tief in uns verankert sind. Und diese Muster sind ab etwa dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr ziemlich stabil und je nach Person äußerst individuell. Darum haben wir auch bei Verstellungsversuchen eine realistische Chance, den Täter zu überführen.

 

Sprachprofiler Patrick Rottler und Leo Martin

 

Können Sie die Wirksamkeit Ihrer Arbeitsweise kurz anhand von Beispielen aufzeigen?

Martin: Als 2019 in Mainz die Kommunalwahlen anstanden, wurde der amtierende Oberbürgermeister Michael Ebling per anonymem Brief angegriffen. Darin wurde unter anderem behauptet, es habe Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit städtischen Bauprojekten gegeben. Angeblich stammte das anonyme Schreiben von Mitarbeitern der Stadtverwaltung.

Kurze Zeit später wurde auch Professor Norbert Pfeiffer, der Leiter der Universitätsmedizin in Mainz, anonym angegriffen. Angeblich von mehreren Ärzten und Professoren aus seinem Haus. Wir konnten feststellen, dass beide anonymen Brief mit hoher Wahrscheinlichkeit vom selben Autor stammen. Damit war klar, dass die Angriffe weder von Mitarbeitern der Verwaltung noch aus der Uniklinik kamen. Dadurch haben die anonymen Anschuldigungen deutlich an Gewicht verloren.

Sie haben das Institut für forensische Textanalyse ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgt das Institut? Wie sieht die Arbeitsteilung aus?

Rottler: Wir fahren Analysen, erstellen Gutachten und bauen Expertise auf. Im nächsten Schritt werden wir unser Netzwerk erweitern und durch unsere Daten einen Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung der forensischen Linguistik beitragen.

Martin: Wir fahren einen interdisziplinären Ansatz. Jeder Fall wird im Vier-Augen-Prinzip bearbeitet. Mindestens ein Sprachprofiler und ein Kriminalist befassen sich mit jedem Vorgang. Wenn notwendig auch ein Jurist.

Unserer Ansicht nach ist es wichtig, dass der Sprachprofiler im ersten Schritt kein Fallwissen, sondern nur die nackten Texte bekommt. Er soll Sprachmuster analysieren, neutral und objektiv.

Wenn der Analyst von Anfang an zu viel über die äußeren Umstände weiß, besteht die Gefahr, dass er die Überzeugungen und Annahmen des Auftraggebers übernimmt. Und diese sind nicht immer richtig, wie unsere Analysen zeigen.

Gerade auf Social Media oder Dating Plattformen lauert die Gefahr, dass Wölfe im Schafspelz unter dem Deckmantel der Anonymität sich zunächst unser Vertrauen erschleichen und dann Böses im Schilde führen. Was sind die häufigsten Gefahren oder Betrugsmaschen? Wie kann man diese erkennen und was kann man dagegen tun?

Martin: Wenn der andere viel verlangt, aber nur wenig zu geben bereit ist, sollte man achtsam werden. Egal ob es um Informationen oder etwas anderes geht. Wenn zudem stimmige Social-Media-Profile fehlen und keinerlei Informationen zu googeln sind, sollte man noch kritischer werden. Dem Text an sich ist das selten anzulesen.

Gerade Hochstapler und Betrüger haben oft ein Talent, Vertrauen zu erwecken und andere um ihren Finger zu wickeln – online und persönlich gleichermaßen. Deshalb lassen Sie sich auf nichts ein, bevor genug Fakten auf dem Tisch liegen. Solange gibt es keine persönlichen Informationen, kein Treffen und keine Überweisung.

Woran können wir erkennen, dass jemand glaubwürdig ist? Welche Anhaltspunkte gibt es dafür, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden?

Martin: Wer genug Fakten kennt und diese richtig interpretiert, kann die Vergangenheit rekonstruieren und die Zukunft ein Stück weit voraussagen. Als Kriminalist überprüfe ich zunächst jede Information auf Zusammenhänge und Widersprüche. Denn unterm Strich kann man die Lüge nur durch die Wahrheit überprüfen.

Im persönlichen Kontakt, also wenn man sich Auge in Auge gegenübersteht, gibt es jedoch die Chance, Hinweise auf eine mögliche Lüge zu bekommen. Und zwar immer dann, wenn der andere Anzeichen von Stress zeigt oder entgegen seiner üblichen Gewohnheiten reagiert. Dann sollten Sie etwa so nachfragen: „Du sahst gerade einen kurzen Moment verunsichert aus. Womit hat das zu tun?“

Rottler: Lügen in Texten zu erkennen ist noch anspruchsvoller. Einige Wissenschaftler bestreiten, dass das überhaupt möglich ist. Aber wenn im Text an einer Stelle wesentlich mehr Informationen auftauchen, als der Kontext erwarten lässt – wir nennen das Überinformation – ist das verdächtig.

Oder wenn der Schreiber sich auf einmal sprachlich distanziert, also mehr von „man“ spricht, als von „du“ oder „ich“, dann haben solche Veränderungen unsere volle Aufmerksamkeit, denn so etwas geschieht nicht ohne Grund. Ein möglicher Grund dafür könnte eine Lüge sein.

 

Leo Martin, Sprachprofiler

 

Sie sagen, die Sprache ist ein Spiegel unserer Persönlichkeit. Können Sie ein paar Beispiele dafür geben, was die Sprache über uns verrät?

Martin: Wir unterscheiden vier verschiedene Persönlichkeitstypen, die sich auch in Ihrem Sprachverhalten deutlich voneinander unterscheiden: Macher, Kontakter, Analytiker und Visionäre.

  • Macher etwa sind sehr Erfolgs-, Sach-, Leistungs- und Handlungs-orientiert und sprechen vor allem in kurzen prägnanten Sätzen.
  • Dagegen sind Kontakter emphatischer, stärker an Menschen und Beziehungen interessiert und haben einen ausgeprägten Gleichheits- und Gerechtigkeitssinn. Sie sprechen emotionaler, auf Augenhöhe und zeigen wirkliches Interesse am Menschen.
  • Analytiker denken logisch und in Zusammenhängen. Sie wollen es genau wissen und verstehen, sprechen differenzierter und brauchen Sicherheit, um sich wohlzufühlen. Sie sprechen nüchtern, sachlich, strukturiert und besonders gerne von Zahlen, Daten und Fakten.
  • Visionäre sprechen in Bildern, sind sehr begeisterungsfähig aber auch leicht abzulenken.

Rottler: Wer erkennt, auf welchem dieser Kanäle sein Gegenüber sendet und selbst auf denselben schalten kann, der verbessert den Wirkungsgrad seiner Kommunikation deutlich.

Das Interview führte Markus Hofelich.

Weitere Informationen unter: www.sprachprofiler.de
Bilder: ©Sprachprofiler.de

 

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