„Der Heros in tausend Gestalten“ von Joseph Campbell über die Heldenreise ist ein bahnbrechender Klassiker der Mythenforschung und Standardlektüre erfolgreicher Filmemacher. Joseph Campbell hat in Sagen, Märchen und Religionen universelle Muster und Grundtypen von Helden entdeckt, die sich weltweit in allen Kulturen wiederfinden. In seinem sogenannten „Monomythos“ hat er die Quintessenz herausdestilliert, die einheitliche Grundstruktur aller Heldenreisen: Ruf zum Abenteuer, Aufbruch, Begegnung mit einem Mentor, Gefährten finden, erste Prüfung, Entscheidungsschlacht, Rückkehr. Zentrale Themen sind Initiation, Selbstverwirklichung und Reifeprozesse. Das Werk von Joseph Campbell über die Heldenreise hat nicht nur Filmemacher wie George Lucas („Star Wars“) stark beeinflusst, sondern liefert jedem Menschen auch Inspiration für die eigene Sinnfindung. Seine Aufgabe im Leben zu erkennen, sich Herausforderungen zu stellen, daran zu wachsen und schließlich sein eigenes Potenzial zu entfalten.
Der Monomythos: Quintessenz aller Mythen, Märchen und Sagen
Was haben Odysseus, Budda, Odin, Jesus von Nazareth und König Artus gemeinsam? Die Helden aus Religion, Mythologie und Sagen stammen zwar aus höchst unterschiedlichen Kulturkreisen und Epochen. Jedoch folgen alle im Kern einem gleichen Muster. Sie alle lassen sich auf den einen Heros zurückführen, den Ursprung aller Mythen. Das schreibt Joseph Campbell in seinem 1949 erstmals erschienenen Buch „Der Heros in tausend Gestalten“.
Von Beginn der Menschheitsgeschichte an bis heute folgen alle erfolgreichen Geschichten und Heldensagen bewusst oder unbewusst einer großen Mythen-Schablone. Immer geht es um eine zentrale Hauptfigur, die eine wechselvolle Entwicklung durchläuft. Sie muss Rückschläge einstecken, erlebt Enttäuschungen und zeigt Schwächen. Aber schließlich wächst sie an ihren Aufgaben. Am Ende gelingt es der Hauptfigur, ihr Potenzial zu entfalten und zum Helden zu werden.
Psychologische Relevanz der Heldenreise: Parallelen zum eigenen Leben
Campbells Erkenntnisse sind auch von bedeutender psychologischer Relevanz. Denn die Heldenreise spiegelt sich nicht nur in epischen Erzählungen wieder, sondern auch im Leben jedes einzelnen Menschen. Schließlich sind wir alle „Helden“ unseres eigenen Lebens. Dieser Zusammenhang beruht auf der Allgemeingültigkeit bestimmter psychologischer Grundsituationen.
Zwischen Geburt und Tod durchläuft jeder Mensch verschiedene Phasen, in denen er mit bestimmten Herausforderungen konfrontiert wird. Diese kann er entweder bewältigen, oder daran scheitern. Für den jungen Menschen gilt es leben, für den alten sterben zu lernen, so Joseph Campbell. Vor diesem Hintergrund geben Mythen dem Menschen eine lebenswichtige Orientierungshilfe. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Sinnfindung und der Ausrichtung des eigenen Lebens.
Außerdem hat jede Mythologie auch die Aufgabe, das soziale Gefüge eines Stammes, einer Stadt oder eines Staates zu regeln. Und ein harmonisches Miteinander zu sichern. Auch hier steht im Kern der universelle Monomythos, der dann jeweils mit den lokalen Besonderheiten angereichert wird: Geographie, Kultur, Sitten und Gebräuche. Diese haben die wichtige Funktion, die Identifikation und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.
Der Heros in tausend Gestalten
Die Heldenreise hat eine archetypische Grundstruktur. Sie ist durch eine typische Folge von Situationen und Figuren gekennzeichnet. Auslöser der Heldenfahrt ist meist ein Mangel oder ein Zusammenbruch vertrauter Lebensbedingungen. Sie treibt den Heros aus seiner gewohnten Umgebung.
Der Heros bricht auf, um das Problem zu lösen. Oder wie Campbell formuliert, das Lebenselixier zu finden, mit dem das gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Damit verbunden ist meist ein psychologisches Ziel, eine Erkenntnis oder ein Reifeprozess. Schließlich macht die Reise den Heros von einem abhängigen Geschöpf zu einem „selbstverantwortlichen Schöpfer seines Lebens“.
Hier die einzelnen Stationen der Heldenreise, wie sie Joseph Campbell in seinem Klassiker „Der Heros in tausend Gestalten“ beschrieben hat.
Die Stationen der Heldenreise nach Campbell
- Der Ruf des Abenteuers (Berufung): ein Mangel oder das plötzliche Erscheinen einer Aufgabe tritt auf.
- Weigerung: der Held zögert zunächst, dem Ruf zu folgen. Beispielsweise, weil er nicht bereit ist, Sicherheiten aufzugeben.
- Übernatürliche Hilfe: der Held trifft unerwartet auf einen oder mehrere Mentoren, die ihm bei seiner Aufgabe helfen.
- Das Überschreiten der ersten Schwelle: der Held überwindet schließlich sein anfängliches Zögern und macht sich auf die Reise.
- Der Bauch des Walfischs: es treten große Probleme auf, die den Helden zu überwältigen drohen. Nun wird ihm zum ersten Mal das volle Ausmaß seiner Aufgabe bewusst.
- Der Weg der Prüfungen: es treten weitere Probleme auf, die als Prüfungen interpretiert werden können. Auseinandersetzungen, die sich als Kämpfe gegen die eigenen inneren Widerstände und Illusionen erweisen können.
- Die Begegnung mit der Göttin: dem Helden wird die gegengeschlechtliche Macht offenbar.
- Die Frau als Versucherin: die Alternative zum Weg des Helden kann sich auch als vermeintlich sehr angenehme Zeit an der Seite einer verführerischen Frau offenbaren.
- Versöhnung mit dem Vater: der Held steht vor der Erkenntnis, dass er Teil einer genealogischen Kette ist. Er trägt das Erbe seiner Vorfahren in sich. Es kann auch sein, dass sein Gegner in Wahrheit er selbst ist.
- Apotheose: In der Verwirklichung der Reise wir dem Helden offenbar, dass er göttliches Potenzial in sich trägt.
- Die endgültige Segnung: Der Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes. Damit könnte die Welt, aus der der Held aufgebrochen ist, gerettet werden. Dieser Schatz kann auch aus einer inneren Erfahrung bestehen, die durch einen Gegenstand (wie etwa einen Ring) symbolisiert wird.
- Verweigerung der Rückkehr: der Held zögert, in die Welt des Alltags zurückzukehren.
- Die magische Flucht: der Held wird durch innere Beweggründe oder äußeren Zwang zur Rückkehr bewegt. Sie vollzieht sich in einem magischen Flug oder durch Flucht vor negativen Kräften.
- Rettung von außen: eine Tat oder ein Gedanke des Helden auf dem Hinweg wird nun zu seiner Rettung auf dem Rückweg. Oft handelt es sich um eine empathische Tat einem vermeintlich „niederen Wesen“ gegenüber, die sich nun auszahlt.
- Rückkehr über die Schwelle: der Held überschreitet wieder die Schwelle zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen ist. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis. Und er muss das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren.
- Herr der zwei Welten: Der Held vereint das Alltagsleben mit seinem neugefundenen Wissen. Damit verbindet er die Welt seines Inneren mit den äußeren Anforderungen.
- Freiheit zum Leben: das Elixier des Helden hat die „normale Welt“ verändert. Indem er die Welt an seinen Erfahrungen teilhaben lässt, hat er sie zu einer neuen Freiheit des Lebens geführt.
Die Reise des Helden im Kino: Star Wars, Herr der Ringe und Harry Potter
Die Ideen im Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ kann man nicht nur verwenden, um alte Geschichten zu verstehen, sondern auch dafür, neue zu schaffen. So gilt der Mythen-Klassiker inzwischen längst als Standardlektüre und Erfolgsfaktor von Drehbuchautoren und Filmemachern in Hollywood.
Einen großen Einfluss hatte Campbell auf George Lucas, der die Original-Trilogie der Star-Wars-Filme eng an den Motiven der Heldenreise ausrichtete. Besonders die zentralen Charaktere Luke Skywalker und Darth Vader basieren auf Figuren des Buchs. Als George Lucas Mitte der 1970er Jahre an den ersten Drehbüchern schrieb, suchte er auch den persönlichen Kontakt zu Campbell, der ein wichtiger Mentor und Freund für ihn wurde.
Zahlreiche weitere erfolgreiche Filmemacher wie Stanley Kubrick oder Steven Spielberg berufen sich ebenfalls auf Campbells Buch. Auch epische Blockbuster wie Harry Potter oder Der Herr der Ringe setzen auf die Theorie der Heldenreise.
Carl Gustav Jungs Archetypen
Bei den universellen Erfahrungsmustern, die sich in allen Mythologien dieser Erde nachweisen lassen und unabhängig voneinander entstanden sind, griff Campbell auf den Psychologen Carl Gustav Jung zurück. Nach Jung sind Archetypen universell vorhandene Strukturen in der Seele aller Menschen. Sie zeigen sich im einzelnen Menschen und in Gesellschaften unterschiedlich. Je nach Kultur, Geschichte und Erfahrung tauchen sie als archetypische Bilder und Symbole auf.
„Tatsache ist, dass gewisse Ideen fast überall und zu allen Zeiten vorkommen und sich sogar spontan von selber bilden können. Gänzlich unabhängig von Migration und Tradition. Sie werden nicht vom Individuum gemacht, sondern sie passieren ihm. Ja sie drängen sich dem individuellen Bewusstsein geradezu auf“, so Jung. Zu den Archetypen zählen die Grundformen des Weiblichen und Männlichen. Etwa der Archetyp des Helden, des Vaters, der großen Mutter, des alten Weisen oder des göttlichen Kindes.
Symbole als Leitbilder
Was bedeuten sie für den einzelnen Menschen? Jung beobachtete: „… typische Formen, die spontan und mehr oder weniger universal in Mythen, Märchen, Phantasien, Träumen, Visionen und Wahngebilden auftreten“. Meist zielen die Archetypen darauf ab, die Gesamtpersönlichkeit wieder ins Lot zu bringen. Indem sie archetypische, von einem starken Gefühlston begleitete Symbole als Leitbilder ins Bewusstsein aufsteigen lassen. Diese Bilder und die Auseinandersetzung des Menschen mit ihnen haben eine spezielle Aufgabe. Sie sollen der Persönlichkeit eine fundamentale Balance zurückzugeben, um Sinn und Ordnung zu fördern.
Über Mythenforscher Joseph Campbell
Joseph Campbell kam am 26. März 1904 in White Plains, im US-Bundesstaat New York zur Welt. Er wurde als Sohn irischer Einwanderer römisch-katholisch erzogen. Schon im Kindesalter zeigte er Interesse an den Mythen der amerikanischen Ureinwohner. Campbell studierte Englisch, Literaturwissenschaft und Sprachen an der Columbia University und an der Sorbonne in Paris.
Beeinflusst wurde er vor allem durch C.G. Jung, Heinrich Zimmer, Nietzsche und Schopenhauer. Aber auch von Autoren wie James Joyce und Thomas Mann. In deren Werken sah er den „Geist des Mythos“ auf zeitgemäße Weise präsent. Campbell arbeitete rund vierzig Jahre als College-Lehrer in Bronxville im Bundesstaat New York.
1949 veröffentlichte Joseph Campbell sein Werk „Der Heros in tausend Gestalten“, das das Motiv der Heldenreise behandelt. Erst nach einigen Jahrzehnten gelangte es zu einer größeren Bekanntheit. Bis heute beeinflusst es zahlreiche erfolgreiche Filmemacher, Drehbuchautoren und Regisseure.
Beziehung zu George Lucas, dem Schöpfer von „Star Wars“
Auch die Beziehung zu George Lucas spielte eine wichtige Rolle. Der Regisseur suchte 1975 im Vorfeld der Star Wars Filme Campells Kontakt. Einem Massenpublikum wurde Campbell in den USA durch die Fernsehserie „Joseph Campbell and the Power of Myth“ bekannt. Eine sechsteilige Interview-Reihe mit dem TV-Journalisten Bill Moyers, die teilweise auf George Lucas Skywalker Ranch gedreht wurde.
Die Reihe erreichte unmittelbar nach Campbells Tod ein Millionenpublikum. Er starb am 30. Oktober 1987 in Honolulu auf Hawaii. Weitere Informationen gibt es bei der Joseph Campbell Foundation. „Der Heros in tausend Gestalten“ über die Heldenreise bleibt jedoch das einflussreichste Werk von Joseph Campbell.
Bilder: Unsplash, Pixabay
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