Jugendliche haben ein Bedürfnis nach Sinnfindung, das sie jedoch häufig als „religiöse Touristen“ befriedigen, mit einem individuell zusammengestellten Patchwork aus einer Vielzahl von religiösen, quasireligiösen oder spirituellen Angeboten. Das geht aus der Sinus Jugendstudie „Wie ticken Jugendliche 2016?“ hervor. Diesen Trend zeigten bereits die letzten Studien der Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH aus den Jahren 2008 und 2012. Demnach finden Teenager ihren gesuchten Sinn nicht mehr zwingend in einer Religion oder Kirche. Stattdessen entwickeln sie aus verschiedenen Quellen einen persönlichen Glauben. Dieser Glaube ist für Jugendliche veränderbar und individuell, während Religion und Kirche eher als institutionell und damit unbeweglich wahrgenommen werden. Trotzdem gehört nach wie vor die Mehrheit junger Menschen in Deutschland einer Glaubensgemeinschaft oder Kirche an.
Bindung an eine Glaubensgemeinschaft steht im Hintergrund
„Das Interesse für Sinnfragen ist bei Jugendlichen weiterhin groß. Die Bindung an eine Glaubensgemeinschaft steht für sie allerdings im Hintergrund, vielmehr ist es wichtig, dass Religion Menschen verbindet und Sinn stiftet“, erklärt Bianka Mohr, Leiterin der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj). Die afj zählt neben dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), der Bundeszentrale für politische Bildung und weiteren zu den Auftraggebern der vom Sinus-Institut durchgeführten Studie. Insgesamt widmet sich die Untersuchung schwerpunktmäßig folgenden Themenkomplexen: Glaube & Religion, Umweltschutz, Klimawandel & Kritischer Konsum, digitale Mediennutzung sowie Liebe & Partnerschaft. Die Sinus-Jugendstudie ist keine repräsentative Umfrage, sondern eine Tiefenstudie, die auf Befragungen von 72 Jugendlichen in Deutschland zwischen 14 und 17 Jahren basiert.
Vertrauen in eine höherstehende Macht
Vor allem für Adaptiv-Pragmatische, Expeditive und Experimentalistisch-Hedonistische Jugendliche ist es kein Widerspruch, an etwas zu glauben, ohne sich als religiös zu bezeichnen oder als Teil einer Glaubensgemeinschaft zu sehen, geht aus der Studie hervor. Noch am ehesten findet sich der Dreiklang religiöser Praxis bei Konservativ-Bürgerlichen und Sozialökologischen Jugendlichen als zusammenhängendes Konzept: Wer glaubt, gehört einer Religionsgemeinschaft an, und wer einer Religionsgemeinschaft angehört, praktiziert zumindest die zentralen Rituale dieser Religion. Christliche Jugendliche beschreiben ihren Glauben häufig als eine Art Vertrauen in eine höherstehende Macht, oder als persönliche Strategie, sich mit dem Schicksal zu arrangieren bzw. ihm Sinn zu verleihen. Glaube ist für sie etwas Individuelles, das nicht unbedingt mit einer bestimmten Institution oder Religion verknüpft sein muss. Sie koppeln ihren Glauben in sehr unterschiedlicher Form an konkrete Rituale oder Aktivitäten. Teilweise berichten sie von regelmäßigen Kirchenbesuchen oder der Teilnahme an der kirchlichen Jugendarbeit. Bei anderen Jugendlichen, die ebenso mit dem Glauben verbunden sind, beschränkt sich die Mitwirkung auf den Gottesdienstbesuchen zu Weihnachten und Ostern, oder es werden gar keine Aktivitäten innerhalb der Glaubensgemeinschaft beschrieben.
Jugendliche interessieren sich für grundlegende Fragen des Lebens
Nach Angaben der Studie ist das Interesse an Sinnfragen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft. Egal ob muslimisch, christlich oder ohne konfessionelle Zugehörigkeit: Jugendliche interessieren sich für grundlegende Fragen des Lebens – allerdings für jeweils unterschiedliche Themen. Während christliche und nicht-religiöse Jugendliche vor allem die Frage bewegt, woher wir kommen und was nach dem Tod kommt, ist für muslimische Jugendliche häufig relevant, was gerecht oder moralisch richtig ist. Hierfür suchen sie teilweise auch Antworten in ihrer Religion. Vor allem christliche Jugendliche unterscheiden zwischen persönlichem Glauben und der religiösen Institution, während die Religion für die muslimischen Befragten auch für ihr Selbstverständnis eine tragende Rolle spielt. Religiöse Toleranz ist ein Wert, der in allen Lebenswelten hochgehalten wird. Jugendliche sind zunehmend mit religiöser Vielfalt im Freundeskreis und im weiteren Umfeld konfrontiert, die Akzeptanz dieser Vielfalt gehört für sie zum Alltag.
Interesse an Buddhismus und Hinduismus
Weiteres Ergebnis der Studie: Jugendliche, die nicht Mitglied einer Glaubensgemeinschaft sind, beschäftigen sich mit den großen Weltreligionen häufig besonders intensiv, da die Zugehörigkeit zu einer Religion für sie nicht selbstverständlich ist. Manche beten auch zu Gott oder einer anderen höheren Macht. Großes Interesse zeigen diese Jugendlichen für Religionen, die in Deutschland weniger stark vertreten sind, z.B. Buddhismus, Hinduismus oder Judentum. Da Religion für sie nicht qua Familientradition vorgegeben ist, beziehen sie verschiedene Glaubensrichtungen in ihre Auswahl „sympathischer Religionen“ mit ein. Hierbei interessieren sie sich für die jeweiligen Dogmen und Überzeugungen, aber mehr noch für den zugehörigen Lebensstil. Jugendliche aus der Prekären Lebenswelt würden Religionen gern einmal kurzfristig und unverbindlich „ausprobieren“, um zu testen, was dahinter steckt, ähnlich wie bei der Auswahl einer neuen Sportart. Experimentalistischen Hedonisten geht es eher um ein aufregendes Experiment, verbunden mit der Suche nach Antworten auf existentielle Fragen und die Erweiterung des eigenen Horizonts, so die Studie der Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH. Weitere Informationen unter: www.wie-ticken-jugendliche.de