Was ist Spiritualität? Der persönliche Zugang zum Göttlichen

by Hofelich
Was ist Spiritualität? Der persönliche Zugang zum Göttlichen

Was ist Spiritualität?  Sie geht davon aus, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als die Naturwissenschaft beweisen kann. Dabei steht der Begriff „Spiritualität“ für das Geistliche im Gegensatz zum Materiellen. Im Kern umfasst sie das persönliche Erleben einer nicht erklärbaren transzendenten Wirklichkeit, in deren Zentrum je nach Weltanschauung Gott, universelle Intelligenz oder eine höhere Macht steht. Es geht dabei nicht um Ratio oder Logik, sondern um persönliche Erfahrungen, Gefühl und Intuition. Denn Spiritualität kommt aus dem Herzen, nicht aus dem Verstand. Völlig losgelöst von religiösen Dogmen umfasst Spiritualität die Möglichkeit, einen persönlichen Zugang zum Göttlichen zu finden. Spirituelle Menschen streben nach einem höheren Sinn und richten ihr Leben auf die Erfahrung einer höheren Wirklichkeit aus. Dies hat meist auch positive Auswirkungen auf die Lebensführung und die ethischen Vorstellungen.

Zwar finden sich spirituelle Elemente auch in allen Religionen – am offensichtlichsten in den fernöstlichen – wieder. Aber Spiritualität zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man sie auch völlig losgelöst von jeglicher religiösen Weltanschauung erfahren kann. Sie setzt lediglich Religiosität voraus, also ein individuelles Streben nach spiritueller Erfahrung und die intuitive Empfindung, dass es etwas Göttliches oder Transzendentes geben muss.

Diesen Aspekt einer Spiritualität, die jenseits der Kirche stattfindet, hat bereits auch Johann Wolfgang von Goethe in seinem Drama „Faust“ angesprochen: „Kein persönlicher Gott mehr, keine Konfession, keine Glaubensgemeinschaft, keine Kirche, keine damit verbundene sittliche Weltordnung – aber das Gefühl einer Allheit und Allverbundenheit, emotionale Übereinstimmung mit dem Weltganzen, das Absolute als Chiffre für die Liebe.“

Definition des Begriffs „Spiritualität“

Bis heute gibt es jedoch keine allgemein anerkannte Definition dieses Begriffes, da Spiritualität sehr stark von der individuellen Weltanschauung des Einzelnen abhängt. Aber es gibt einige verbindende Elemente und interessante Denkanstöße. So sieht der Psychologe Rudolf Sponsel Spiritualität als Beschäftigung „mit Sinn- und Wertfragen des Daseins, der Welt und der Menschen und besonders der eigenen Existenz und seiner Selbstverwirklichung im Leben“. Der Biophysiker Markolf Niemz sagte: „Spiritualität ist Wahrheit, die von innen kommt.“

Als einer der Pioniere, die fernöstliche Spiritualität in Europa hoffähig gemacht haben, gilt der Psychotherapeut und Zen-Lehrer Karlfried Graf Dürckheim. Er zählt auch zu den Wegbereitern der transpersonalen Psychologie, die klassische Ansätze aus Psychologie und Psychotherapie mit spirituellen Aspekten ergänzt.

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Merkmale von Spiritualität

Für Dürckheim sind Transzendenz, Immanenz und Transparenz wesentliche Merkmale der Spiritualität. Das heißt, spirituelle Traditionen gehen davon aus, dass es eine höhere Wirklichkeit gibt, die das rationale Verstehen übersteigt. Zudem ist dieses Transzendente oder Göttliche in allem anwesend und in allem innewohnend, also immanent. Erfahrbar wird es durch Transparenz, indem man das Göttliche in sich selbst erkennt und in jedem Menschen, in jedem Wesen sowie in allem spürt und das Denken durchlässig für das Göttliche wird. Spiritualität heißt für Dürckheim auch, das Göttliche durch sich wirken zu lassen und in den Ereignissen des Lebens das Wirken Gottes zu sehen.

Grundprinzipien, die allen spirituellen Philosophien zugrunde liegen

Auch Sukadev Volker Bretz, Autor und Leiter des Yoga-Netzwerkes Yoga Vidya, hat in seinem Konzept „Sieben Wörter spiritueller Philosophie“ versucht, die Grundprinzipien zu beschreiben, die allen spirituellen Traditionen zugrunde liegen.

Demnach steckt hinter allem, was existiert, eine höhere Wirklichkeit und der Mensch hat die tiefe Sehnsucht, diese zu erfahren. Allerdings unterliegt er bei der Wahrnehmung der Welt einer Täuschung, da er sich von der Schöpfung und von den anderen Geschöpfen getrennt sieht. In der spirituellen Wahrheit ist jedoch alles miteinander verbunden und Manifestation des gleichen Göttlichen.

Solange man dieser Täuschung unterliegt, befindet man sich im Leiden. Denn auf materieller Ebene ist alles begrenzt, sterblich und Veränderungen unterworfen und das kann uns auf Dauer nicht befriedigen. Das Leiden ergibt sich nicht aus den Umständen, sondern weil man das Göttliche nicht verwirklicht hat.

Ein weiteres spirituelles Grundprinzip lautet, dass es Sinn und Zweck des menschlichen Daseins ist, das Göttliche zu erfahren und mit dem Göttlichen zu verschmelzen. Alle spirituellen Traditionen sagen, dass es für jeden möglich ist, Erleuchtung zu erlangen. Wichtige Voraussetzungen dafür sind, spirituelle Praktiken wie Meditation zu üben und sich zu bemühen, in allem das Göttliche zu sehen. Zudem liegt allen spirituellen Philosophien die Einstellung zugrunde, dass das Leben einen Sinn hat und die Ereignisse nicht zufällig auf uns zukommen.

Das Leben gilt als Schule und das Schicksal gibt uns genau die Erfahrungen, die wir brauchen, um daran zu wachsen und in unserer Spiritualität weiter voranzuschreiten. Dabei ist es natürlich stets wichtig, ethische Regeln einzuhalten und sich für eine gute Sache zu engagieren. Letztendlich kann man sich die Erleuchtung jedoch nicht völlig selbst erarbeiten oder sie gar erzwingen. Sie ergibt sich aus dem Zusammenspiel von eigenem Bemühen, dem Annehmen der Aufgaben des Lebens und einem sich Öffnen für die göttliche Gnade, so das Konzept von Bretz.

Meditation als Weg zu spiritueller Erfahrung

Die Ausübung von Meditation gilt als wichtiger Weg zu spiritueller Erfahrung. Sie findet ihren Ursprung meist in fernöstlichen Techniken wie der Yoga-Philosophie oder der Chakren-Meditation. Je nach Intensität gibt es verschiedene spirituelle Erlebnis-Stufen, die erfahren werden können. Zunächst empfindet der Meditierende eine tiefe Liebe zur gesamten Schöpfung und große Ehrfurcht vor allem Lebenden. Er wird demütig und geduldig und wendet sich von materiellen Wünschen ab und geistigen Zielen zu. Er sucht die Wahrheiten nicht mehr im Äußeren, sondern in seinem Inneren. In einer weiteren Stufe kann das Ego überwunden werden, die Äußerlichkeiten der Welt verlieren an Bedeutung. Ruhe, Gelassenheit, Harmonie und Liebe bestimmen das Leben. Wer die höchste Stufe erreicht, kann eine völlige Vereinigung mit dem höchsten Wesen oder dem Universum empfinden.

Mystische Gipfel-Erlebnisse und Gotteserfahrung

Seit jeher gibt es Menschen, die intensive mystische Gipfel-Erlebnisse erfahren: seien es meditierende Buddhisten, Derwische des islamischen Sufismus, christliche Mystiker des Mittelalters. Bei allen geht es um die Veränderung des Bewusstseins, um die Aufhebung des irdischen Selbst. Mithilfe von Trance, Meditation oder Gebet gelangen diese Menschen in einen spirituellen Zustand, der von intensiven Erlebnissen gekennzeichnet ist. Sie berichten von Selbst-Transzendenz, Gotteserfahrung, einem Gefühl allumfassenden Glücks, universeller Liebe des absoluten Eins-Seins mit einem großen Ganzen, von einem Verschmelzen mit dem Universum und von der Auflösung des normalen Zeitempfindens. In einem ozeanischen Gefühl erleben sie sich als Teil eines göttlichen Ganzen und erfahren tiefe Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos.

Allerdings ist es unmöglich, diese Erfahrungen in Worte zu fassen oder intellektuell zu verstehen. Nach dem US-amerikanischen Psychologen William James sind mystische Erlebnisse gerade durch ihre Unaussprechlichkeit gekennzeichnet. Nur durch eigenes Erleben können diese Zustände vollständig erfasst werden.

Verbindung von Spiritualität und Psychologie in der transpersonalen Psychologie

Mit der praktischen Verbindung von Spiritualität und Psychologie in der transpersonalen Psychologie hat sich der Psychotherapeut, Hochschuldozent und Autor Dr. Sylvester Walch intensiv auseinandergesetzt. Im Interview mit SinndesLebens24 erklärte er, welche Vorteile sich daraus für die psychische Gesundheit ergeben: „Diese beiden Bereiche – also die Psychologie und die Spiritualität – entspringen einer Urmotivation des Menschen, zu wachsen, heil zu werden und sich seiner selbst bewusst zu werden. Die Psychotherapie verhilft uns dazu, seelische Konflikte aufzulösen sowie authentischer, selbstbewusster und liebensfähiger zu werden.

Durch schädigende Einflüsse wie Traumata, Übergriffe, Defizite von Liebe und Geborgenheit sowie chronische Konflikte in der Familie, haben sich unnatürliche und destruktive Selbstwahrnehmungen aufgebaut, die es aufzulösen gilt. Deshalb geht es in psychotherapeutischen Prozessen im Wesentlichen darum, zu folgenden natürlichen Einstellungen sich selbst gegenüber zurückzufinden: ‚Ja, ich bin willkommen.‘ ‚Ja, ich werde geliebt.‘ ‚Ja, ich werde wertgeschätzt.‘ ‚Ja, ich werde gebraucht.‘

Über den spirituellen Weg und regelmäßige Meditationsübungen finden wir heraus, wer wir wirklich sind und dass wir in etwas Größerem eingebettet sind. Wenn wir uns als Teil des Ganzen erleben und uns dort verorten lernen, ist das eine enorme Ressource, die uns Kraft gibt. Gleichzeitig lernen wir loszulassen, mitfühlender und achtsamer mit uns selbst und anderen zu werden.

Beide Perspektiven ergänzen sich in wunderbarer Weise, denn wenn die Psychotherapie die Türe zur Spiritualität öffnet, wirkt sie nachhaltiger und tiefer. Und wenn der spirituelle Weg die Prinzipien der Psychotherapie mit einbezieht, wird er wahrhaftiger und ist weniger anfällig für Tabus.“

Die Weisheit ist in unserem Inneren zu finden

Weitere wesentliche Merkmale der transpersonalen Psychologie beschreibt der Experte folgendermaßen: „Sie hat uns gelehrt, dass die Weisheit in unserem Inneren zu finden ist. Sie sieht den Menschen eingebettet und eingewoben in etwas Größeres. Wir sind also mehr als nur Persönlichkeit, Lebensgeschichte oder ein Ensemble von Rollen. Das Selbst ist für sie nicht nur auf die Persönlichkeit bezogen, sondern mit dem Seinsganzen verbunden. Die Vertreter der transpersonalen Psychologie sehen im menschlichen Innenraum eine verborgene Intelligenz am Werk, inspirierend, heilend und die Entwicklung unseres Lebens steuernd. Sie tritt in Verbindung zum Umfeld als ein Prozess umgreifender Selbstorganisation in Erscheinung“, so Walch.

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