Interview mit Christoph Quarch: „Rettet das Spiel!: Weil Leben mehr als Funktionieren ist“

by Hofelich
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Am 26. September 2016 ist das neueste Werk von Christoph Quarch mit dem Titel „Rettet das Spiel!: Weil Leben mehr als Funktionieren ist“ im Hanser Verlag erschienen. Darin plädiert der Philosoph mit seinem Co-Autor Gerald Hüther für die Wiederentdeckung des Spiels, für mehr Kreativität und Lebensfreude in Familie, Partnerschaft und Beruf. Im Interview spricht Christoph Quarch über die tiefere Bedeutung des Spiels für ein glücklicheres und sinnerfüllteres Leben.

Herr Quarch, wie definieren Sie „Spiel“?

Quarch: Das ist gar nicht so einfach, denn Spiele sind komplexe Phänomene. Ihr wichtigstes Kennzeichen ist vielleicht ihre Zweckfreiheit: Wer spielt, spielt um des Spieles willen. Deshalb unterwirft er sich der Logik des Spiels und seiner Regeln. Als zweites Kennzeichen kommt hinzu, dass Spielen immer Miteinander-Spielen ist. Man spielt mit jemandem oder mit etwas – und je echter das Spiel, desto mehr wird dieses Etwas zu einem Du – so wie der Teddybär bei einem spielenden Kind. Und schließlich ist allen Spielen gemeinsam, dass sie etwas zeigen, das sich außerhalb des Spielfeldes und der Spielzeit nicht zeigen könnte. Beim Theaterspiel liegt das auf der Hand, aber es gilt auch für andere Spiele: mal zeigt sich, wer der Beste ist, mal zeigt sich, wie geschickt jemand ist, mal, ob es das Glück gut mit einem meint. Freiheit, Miteinander, Darstellung – das sind die drei Signaturen des Spiels. Und sie verdanken sich dem Umstand, dass Spiele begrenzt sind: Sie haben einen Anfang und ein Ende.

Wieso haben Sie sich entschieden, über das Thema „Spiel“ ein Buch zu schreiben?

Quarch: Ich nehme wahr, dass immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft auf der Suche nach so etwas wie authentischer, echter Lebendigkeit sind. Die einen zieht es dafür in den Konsum, die anderen gehen auf Reisen, wieder andere wenden sich der Spiritualität zu. Aber egal wo ich hinschaue: Ein Mehr an Lebendigkeit sehe ich nicht: keine Intensität, keine Begeisterung, kein Leuchten in den Augen. All das aber findet man auf Spielplätzen oder an Spielstätten. Sie scheinen mir gerade in unserer so sehr von Konsum und Ökonomie geprägten Gesellschaft Inseln der Lebendigkeit zu sein, an denen Menschen genau die Lebensfreude und Leichtigkeit finden, die sie anderenorts so verzweifelt suchen. Da war es naheliegend, die Idee zu entwickeln, der Homo ludens – also der spielende Mensch – könne ein guter Gegenpol zum Homo oeconomicus – dem wirtschaftenden Menschen – sein. Zumal schon Schiller die These vertreten hatte, der Mensch sei eigentlich nur da ganz Mensch, wo er spielt. Und ganz Mensch sein: das ist es doch, was wir alle immer sehnlicher wünschen und immer weniger sind.

Wann sind Sie dem „Spiel“ zum ersten Mal begegnet?

Quarch: Naja, selbstverständlich als Kind. Da habe ich gespielt, was das Zeug hält. Später habe ich weitergespielt: Kartenspiele, Theaterspiele, Sportspiele, Denkspiele (= Philosophie). Aber vielleicht wollen Sie wissen, wann ich das Spiel als Thema entdeckt habe. Das war im Zuge meiner Beschäftigung mit Platon, der in seinem Dialog „Nomoi“ (Die Gesetze) einmal bemerkt, der Mensch könne sein Leben nicht besser zubringen, denn als eine unablässige Folge von schönen Spielen zu Ehren der Götter. Da ich mich immer als Platoniker verstanden habe, wollte ich herausfinden, warum das stimmt.

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Welche Bedeutung hat das Spiel in unserer Gesellschaft?

Quarch: Die Bedeutung des Spiels ist außerordentlich. Machen wir uns nur klar, dass derzeit auf diesem Planeten nichts in der Lage ist, in einem solchen Maße die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu lenken, wie ein Spiel: das Fußballspiel. Es fasziniert Menschen aller Kontinente, Religionen, Kulturen, Geschlechter, sozialen Schichten. Ob arm, ob reich – beim Fußball treffen sich alle. Das gibt zu denken. Das ist das eine. Das andere ist: Das Fußballspiel ist enorm kommerzialisiert. Nicht das Spiel an sich – das ist das Spannende – aber alles, was drum herum geschieht. Und eben darin ist es gefährdet. Je mehr ökonomische Parameter in die Spielwelt eindringen, desto mehr wird diese zerstört. Bei Glücksspielen ist das offensichtlich, ebenso bei den meisten Computerspielen. Aber auch Sportspiele – wie Olympia – oder Kulturspiele – wie der Eurovision Song Contest – sind zu rein kommerziellen Events mutiert, bei denen die drei Grundmerkmale des Spiels nicht mehr zur Geltung kommen. Deshalb ist das Spiel gefährdet, deshalb muss man es retten: vor den Klauen des Homo oeconomicus!

Welchem Zweck dient das Spiel Ihrer Meinung nach?

Quarch: Keinem, das Spiel ist zweckfrei. Aber es ist deshalb nicht sinnlos. Ganz im Gegenteil. Gerade weil das Spiel zweckfrei ist, eröffnet es die Chance, Sinn zu erfahren. Denn im Spiel sind wir so, wie es unserem Wesen entspricht: kreativ, kommunikativ, leicht und lebendig.

Wen oder was würden Sie als Spielverderber bezeichnen und wieso?

 Quarch: Spielverderber ist, wer einen Spielraum zerstört – etwa, indem er sich den Regeln des Spiels widersetzt oder eine andere Logik ins Spiel einzeichnen möchte. Ein Beispiel dafür ist, wenn im Kindergarten bei einem Wettspiel aus pädagogischen Gründen kein Kind mehr gewinnen darf. Ein anderes Beispiel ist das oben genannte: Wenn ökonomische Aspekte in die Spielwelt eindringen – wenn nicht mehr die Qualität des Spiels interessiert, sondern das Geld, das man damit erwirtschaften kann, – dann sind die Spielverderber unterwegs.

Der Titel Ihres Buches lautet „Rettet das Spiel“. Ist es denn in Gefahr?

Quarch: Es ist in Gefahr, weil die Spielverderber allgegenwärtig sind. Auch hier wieder in unterschiedlicher Gewandung. Einerseits ist die Ökonomisierung und Kommerzialisierung eine Gefahr, andererseits (und eng damit verbunden) die Haltung, die immer mehr Menschen dem Spiel gegenüber annehmen – vor allem den darstellenden Spielen. Es ist eine Haltung des „Was geht mich das an?“ oder auch des „Was hab ich davon?“. Diese Haltungen zerstören das Spiel. Spielen und Mitspielen kann nur, wer sich ins Spiel hineinziehen lässt und bereit ist, sich dafür aufs Spiel zu setzen. Wer mit verschränkten Armen am Spielfeldrand steht, bringt sich um den Genuss des Spiels. Ebenso wer beim Fußball in der VIP-Lounge sitzt und sich nur dafür interessiert, welchen Marktwert die Spieler haben.

Braucht es im „Spiel“ Regeln?

Quarch: Unbedingt. Es gibt kein Spiel ohne Regeln. Selbst die ganz freien Spiele – etwa das Spiel meiner Tochter mit ihrem Stoffesel – ist nicht regelfrei, denn sie schafft sich beim Spiel ihre eigenen Regeln. Die Regeln sind deshalb so wichtig, weil sie die Freiheit des Spiels garantieren. Das klingt überraschend, aber genauso ist es. Die Regeln sorgen dafür, dass die Spieler miteinander spielen können und jene Kreativität und Freude entfalten, die es nur im Spielraum gibt.

Wie wichtig ist es für Sie, im Spiel zu gewinnen?

 Quarch: Super wichtig und total unwichtig zu gleich. Und genau das macht den Zauber des Spiels aus. Bei der Doppelkopfrunde mit Freunden oder beim Fechtspiel auf dem Parkett will ich gewinnen. Wäre es anders, wäre ich ein Spielverderber, denn ich würde die Logik dieser Spiele außer Kraft setzen. Aber das „Gewinnenwollen“ ist nur deshalb wichtig, weil es zum Spielarrangement gehört. Eigentlich geht es darum, zu spielen und nicht zu gewinnen. Deshalb spielen wir auch dann weiter, wenn wir dauernd verlieren. Das Spiel ist das Entscheidende, nicht das Gewinnen – und schon gar nicht der Gewinn. Wäre es anders, würden die ganzen Wettspielszenarien nicht funktionieren, denn nur einer kann gewinnen. Trotzdem spielen viele mit – weil es ihnen ums Spielen geht.

 

Zur Person: Christoph Quarch

Dr. phil. Christoph Quarch ist Philosoph, Autor und Berater. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen, unter anderem mit „ZEIT-Reisen“. Weitere Informationen unter: www.christophquarch.de

Bilder: Oliver Hallmaier und Hanser Verlag

Lesen Sie hier auch das Interview mit Christoph Quarch: Sinn und Erfüllung finden in der griechischen Philosophie

 

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