Vor kaum einem Persönlichkeitstyp wird so sehr gewarnt wie vor Narzissten: Sie lieben nur sich selbst, manipulieren Menschen zum eigenen Vorteil, werten sich selbst auf und andere ab. Durch ihre übertriebene Selbstbezogenheit können sie sogar das Leben ihrer Mitmenschen zerstören. Doch auch sie sind nur Menschen, die aus Angst vor der eigenen Unwichtigkeit so geworden sind. Dr. med. Pablo Hagemeyer weiß als erfahrener Psychiater und Psychotherapeut, wie Narzissten ticken – und auch er selbst ist von dieser Persönlichkeitsstörung betroffen. In seinem Buch „Gestatten, ich bin ein Arschloch“ erklärt der nette Narzisst und Psychiater, wie man Narzissten entlarvt und ihnen Paroli bietet. Im Interview verrät er seine besten Tipps, wie wir mit diesem Menschenschlag in Beziehungen und im Berufsleben umgehen sollten.
Herr Dr. Hagemeyer, was hat Sie dazu bewogen Ihr Buch „Gestatten, ich bin ein Arschloch“: Ein netter Narzisst und Psychiater erklärt, wie Sie Narzissten entlarven und ihnen Paroli bieten“ zu schreiben und welche Zielgruppe sprechen Sie vor allem an?
Hagemeyer: Der entscheidende Auslöser war für mich, aus dem Alltag des Therapeuten heraus zu sehen, wie ein Parade-Narzisst aus der Kategorie „Monster“ plötzlich in eine Machtposition kam: Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Ich habe wirklich einen Schrecken bekommen, dass es möglich ist, trotz der Ansage „ich bin ein Arsch“ von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt zu werden. Das hat mich dazu bewogen, einen Impuls-Artikel zu schreiben und in den sozialen Medien zu verbreiten. Da die Resonanz darauf sehr groß war, habe ich mir gedacht, dieses Thema ist ein Buch wert.
Hier das Interview mit Dr. Pablo Hagemeyer als Podcast hören (oder auf iTunes oder Spotify / SinndesLebens24):
Was macht Narzissten aus? An welchen Merkmalen kann man besonders erkennen, ob jemand oder man selbst diese Veranlagung hat?
Hagemeyer: Um Narzissmus zu erkennen wurde die internationale Klassifikation für psychiatrische Erkrankungen – DSM vier und fünf – entwickelt, die neun wesentliche Merkmale dieses Persönlichkeitsstils auflistet. Wer alle neun Punkte erfüllt, ist der perfekte Narzisst, wer weniger als fünf Punkte aufweist, ist nicht davon betroffen. Dazwischen finden sich leichte und mittelgradige Ausprägungen dieses Typs.
Zu den Kriterien zählen beispielsweise, wenn Menschen übermäßig von der eigenen Wichtigkeit und Einzigartigkeit überzeugt sind, nach großer Bewunderung verlangen, arrogantes, überhebliches Verhalten zeigen sowie extrem kritikempfindlich sind, dabei aber selbst sehr gut austeilen können. Zudem verfolgen sie übertriebene Ideale von Liebe, Erfolg oder Reichtum, die nicht realisierbar sind. Sie besitzen ein übersteigertes Anspruchsdenken und erwarten, immer bevorzugt behandelt zu werden. Gegenüber anderen Menschen sind sie häufig ausbeuterisch und ziehen Nutzen aus diesen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.
Bei der Empathie gibt es zwei Aspekte. Zum einen gibt es Narzissten, die unfähig sind, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Zum anderen gibt es welche, bei denen die kognitive Empathie ausgeprägt ist. Das heißt, sie sind nicht unfähig, sondern nicht willens, Empathie zu zeigen. Das ist ein feiner Unterscheid.
Das heißt, er kann sich durchaus in andere Menschen hineinversetzen, deren Gefühle und Bedürfnisse erkennen und entsprechend empathisch mit diesen umgehen. Doch er benutzt diese Fähigkeit gezielt für seine eigenen Zwecke und geht dabei höchst manipulativ vor. Er kann seine Emotionen abschalten und steuern. Und je besser er das kann, umso psychopathischer ist er auch, desto besser ist er dazu in der Lage, Menschen zu manipulieren und zu steuern – nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche.
Aber tatsächlich reichen diese Kategorien nicht aus, um Narzissmus wirklich zu kategorisieren. Professor Rainer Sachse etwa hat wichtige neue Kriterien entwickelt. Er sagt, dass sich im Kern des Narzissten eine ausgeprägte negative und schwache Seite findet – also ein extrem negatives Selbstbild. Und das will er um jeden Preis mit einem positiven Bild verdecken.
Daran zeigt sich die extreme Spaltung des Narzissten. Er setzt alles daran, seine negative Seite zu verbergen, für die er sich abgrundtief schämt. Seine große Angst liegt darin, dass die Leute merken könnten, dass er in Wahrheit eine Niete ist. Die Phobie des Narzissten ist, in sich selbst das Mittelmaß zu erkennen.
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Wie weit sind Narzissten in der Bevölkerung verbreitet?
Hagemeyer: Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung und eine andauernde Charaktereigenschaft, die wenig veränderbar ist. Modern spricht man auch von einem Persönlichkeitsstil, der dieses Phänomen weitaus menschlicher beschreibt und eine Diskriminierung vermeidet.
Wie jede psychische Charaktereigenschaft ist der Narzissmus gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt: Es gibt wenige extreme und sehr viele leichte und mittelgradige Fälle. Bösartige Narzissten machen nur einen geringen Anteil von ein bis vier Prozent in der Bevölkerung aus, die anderen Gruppen kommen weitaus häufiger vor. Das heißt, wir alle sind im Leben immer wieder mit Narzissten unterschiedlicher Ausprägung konfrontiert.
Beim Narzissmus gibt es ja graduelle Unterschiede. Wo liegen die Gefahren eines pathologischen und die Chancen einer „gesunden“ Portion Narzissmus?
Hagemeyer: Am obersten Ende der Skala befindet sich der psychopathische Narzisst, der von seiner eigenen Wichtigkeit extrem überzeugt ist. Dieser ist stark geprägt von Eigenschaften wie Skrupellosigkeit, Arroganz und Selbstbezogenheit. Ja er ist so geprägt, dass er sich selbst auf Kosten und zum Nachteil von anderen aufrecht erhält.
Dagegen ist der Narzissmus in einem normalen Kontext nicht unbedingt psychopathisch. Der mittelgradige Narzisst ist davon gekennzeichnet, dass er sich relativ wichtig nimmt. Vor allem ist er immer auf Anerkennung und Bestätigung aus, aber in einem etwas übertriebenen Maße im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung.
Wie entsteht Narzissmus – ist er eher angeboren oder wird er durch die Erziehung oder durch ein bestimmtes Umfeld begünstigt?
Hagemeyer: Wir wissen, dass 50 bis 75 Prozent des Temperaments vererbt werden. Das ist einerseits erschreckend. Denn wenn wir Narzissten sind, können wir darauf wetten, dass unsere Kinder auch diesen Persönlichkeitsstil in sich tragen. Aber andererseits wissen wir aus der Verhaltenspsychologie, dass auch das Umfeld den Charakter herausbildet.
Wenn wir mit einer narzisstischen Veranlagung zur Welt kommen und in einem ungünstigen Umfeld aufwachsen, kann es durchaus sein, dass wir uns zu einem egozentrischen Psychopathen oder kriminellen Tyrannen entwickeln. Wenn wir dagegen in einem sehr wohlwollenden, herzlichen und liebevollen Umfeld aufwachsen, dann kann es sein, dass sich diese Veranlagung eher menschenfreundlich und empathisch entwickelt. Wir also zu einem netten Narzissten werden, der vielleicht ein bisschen nervt, weil er immer Anerkennung braucht, aber im Kern eigentlich gutmütig ist.
Neben den selbstverliebten und großspurigen Vertretern dieser Spezies gibt es auch Narzissten, die unsicher, scheu, depressiv und übersensibel wirken können. Was zeichnet diese aus?
Hagemeyer: Das ist eine ganz interessante Frage – wir nennen sie auch die stillen oder erfolglosen Narzissten. Sie verfolgen ständig Vermeidungsziele, wie etwa nicht peinlich aufzufallen, nicht die eigene Schwäche zu zeigen oder nicht das Risiko einzugehen, kritisiert zu werden. Als Konsequenz daraus bleiben sie Zuhause und machen gar nichts.
Trotzdem sind sie davon überzeugt, talentiert, begabt und wunderbare Menschen zu sein. In ihrer Wahrnehmung sind nicht sie selbst daran schuld, sondern ausschließlich die anderen Menschen da draußen. Das heißt, sie schimpfen über Gott und die Welt und kriegen selbst nichts auf die Reihe – und leiden darunter.
Im Gegensatz zu den extrovertierten und selbstverliebten Narzissten, die sich selbst super finden ist das Schicksal der stillen Narzissten wirklich sehr tragisch und bedauernswert. Für diese Menschen gibt es kaum Empathie: Ein superempfindlicher Typ, der sich nichts traut und trotzdem glaubt, dass er der größte ist, wirkt irgendwie unsympathisch. Deshalb erreicht er nie das Ziel das er sich insgeheim wünscht, nämlich in Beziehung zu anderen Menschen zu kommen. Sondern er vertreibt die Menschen von sich und bleibt am Ende allein.
Wie kann diesen stillen Narzissten geholfen werden?
Hagemeyer: Man muss versuchen, ihnen dieses Verbergen der eigenen Inkompetenzen, vor denen sie sich ängstigen und Scham haben, bewusst zu machen. Denn Scham ist ein sehr starkes Gefühl, nah an der Trauer und der Suizidalität gebaut. In diesen Biographien reihen sich oft Frustrationen und Misserfolge aneinander. Wer niemals Erfolge feiern konnte für irgendetwas ist wirklich eine traurige, verlorene Seele.
Deswegen nehmen sich viele stille Narzissten auch das Leben. Man kann versuchen, diesen Schutzwall des Narzissmus vor dieser tiefen seelischen Berührung, die so schmerzt, etwas aufzubrechen und aufzulockern. Dabei muss man äußerst empathisch vorgehen und Mitgefühl zeigen – denn das sind genau die Gefühle, die sie nie erlebt haben.
Häufig liegt dieser Prägung auch das Verhalten einer herzlosen Mutter oder eines sehr leistungsorientierten Vaters zugrunde. Deswegen braucht die Therapie dieser stillen Narzissten ein hohes Maß an menschlicher Wärme und Zuneigung.
Wie geht man am besten mit Narzissten um?
Hagemeyer: Meine Faustregel lautet: Loben sie den Narzissten, aber zeigen sie ihm auch klare Grenzen auf. Zunächst spürt und erkennt man einen Narzissten ja mithilfe der eigenen Intuition, wenn ein Mensch viel Raum einnimmt und sich sehr wichtig vorkommt. Dann kommt es darauf an, mit diesem eine Beziehung aufzubauen, denn letztendlich ist Narzissmus eine Störung der Beziehungsfähigkeit. Das funktioniert über Zuwendung.
Denn schließlich will er ja Zustimmung und Anerkennung, etwa über eine kleine Bestätigung, wie „Du hast aber heute coole Schuhe an“. Dann blüht er auf, es ist wie Wasser auf eine vertrocknete Blume zu gießen. Man darf es aber nicht theatralisch oder unecht machen, sondern es muss ernst gemeint sein.
Nun kann man gemeinsame Interessen finden – etwa Intellektuelles oder ein Hobby – und geht in Resonanz mit ihm. Doch dann läuft man Gefahr, manipuliert zu werden, wenn man kein Profi ist. Denn der Narzisst wird jetzt versuchen, ganz vorsichtig immer mehr seine eigenen Interessen durchzusetzen. Je nachdem, wie er es gewohnt ist, wird er etwas vorsichtiger oder brüsker dabei vorgehen.
Spätestens dann sollte man klare Grenzen ziehen, ohne dabei in eine Begründungs- und Rechtfertigungsfalle zu tappen. Also einfach nett aber bestimmt sagen, „Du danke, ein Super Angebot, aber das passt mir jetzt gerade nicht“. Und immer schön eine Grenze aufziehen und seinen Standpunkt klar machen: Hier bin ich und dort ist der andere.
Natürlich erkennt der Narzisst diese Strategie ziemlich schnell und versucht, weiter Einfluss zu nehmen. Nun gilt es aufzupassen, sich wirklich durchzusetzen und die Grenzen einzuhalten. Ansonsten ist man die perfekte Beute für einen Narzissten – besonders, wenn man charakterlich nicht so fest ist. Dann wird er einen so einwickeln und einlullen, dass man gar nicht merkt, wie stark man manipuliert wird.
Häufig treffen ja in Liebes-Beziehungen Frauen auf narzisstische Männer. Nach welchem Muster läuft so eine Beziehung meist ab?
Hagemeyer: Ist einer der beiden Partner ein Narzisst, dann kann es häufig zu ungleichen Beziehungen bis hin zum Missbrauch kommen. Männer neigen eher zum Narzissmus, da das männliche Rollenmodell ja geprägt ist von Größe, Erfolg, Stärke, Eindeutigkeit und Beharrlichkeit. Natürlich gibt es auch narzisstische Frauen, die auch ihre Anerkennung und Wichtigkeit bestätigt haben wollen, aber etwas anders dabei vorgehen.
Häufig folgt so eine Beziehung folgendem Muster. Am Anfang einer Beziehung geht der männliche Narzisst meist etwas verdeckt vor. Er weiß aus Erfahrung, dass er doch etwas nervt und die Frauen dann nach zwei bis drei Wochen plötzlich nicht mehr anrufen. Deswegen wird er versuchen zu überspielen, dass er eine Nervensäge ist und das Objekt der Begierde zunächst mit Komplimenten überhäufen und sich sehr generös zeigen. Aber dann wird er schrittweise versuchen, immer mehr seiner Interessen durchzusetzen und den Partner abzuwerten.
Wir kennen das ja alle, dass wir oft nachgeben, wenn sich jemand mächtig oder stark geriert, angeberisch ist oder etwas durchsetzen will. Weil wir uns das ganze Generve ersparen wollen. Doch das ist fatal. Denn wenn ihn keiner daran hindert, kann der Narzisst plötzlich ungestört weitermachen und wird sich immer extremer verhalten.
Ja er fühlt sich dadurch sogar noch in seiner Handlungsweise bestätigt und kommt immer weiter in einen sich selbst verstärkenden Ego-Tunnel hinein. Folglich geht er immer unfreundlicher mit dem Partner um, wertet ihn ab und bezeichnet auch dessen soziales Umfeld als Idioten. So wird der Partner immer mehr eingeschüchtert und in die Opferrolle gedrängt.
Der Narzisst bestimmt auch die Themen und setzt schonungslos seine Sicht der Dinge durch, auch gegen besseres Wissen. Beispiel: „Der Schnee ist blau!“ – „Nein, der ist doch eher weiß!“, „Nee, der ist blau!“. Das heißt, auch objektive Fakten verdreht der Narzisst gerade so, wie es ihm passt und lässt die offensichtliche Wahrheit nicht gelten, auch wenn sie ihm bekannt ist. Das zeigt sich auch oft in seinen Lügen.
Wenn so eine Beziehung über Jahre weiterläuft, mündet sie am Ende meist in einer sadistisch-masochistischen Konstellation. Der Narzisst ist der Sadist, der Lust und Freude daran verspürt, den Partner zu ärgern, abzuwerten und zu quälen. Oder aber der Narzisst verlässt seinen Partner, weil ihm dieser in seiner permanenten Opferrolle plötzlich zu langweilig wird.
Ist es überhaupt möglich, solche fast schon toxischen Beziehungen zu retten? Und wenn ja, wie?
Hagemeyer: Mein wichtigster Rat lautet: Der Spruch „Der Klügere gibt nach“ sollte nicht in der Interaktion mit einem Narzissten gelten. Man muss sich aus der Opferrolle befreien und diesem klare Grenzen aufzeigen. Zunächst muss sich der betroffene Partner in einer Beziehung jedoch überhaupt erst einmal darüber bewusst werden, dass er es mit einem Narzissten zu tun hat.
Wenn er merkt, dass er in eine ungleiche Beziehungssituation gerutscht ist. Dass das alles so nicht stimmen kann, diese permanente Einteilung in „Er hat recht und ich habe unrecht“. Dann kann man versuchen, dieses Verhalten zu korrigieren, dafür gibt es auch einige Tricks.
Der betroffene Partner kann sagen, „Wenn Du das weiter so machst – dann fällt das auch negativ auf Dich zurück!“ – das gilt auch im Business. Dass heißt, wir ziehen unseren Partner mit ins Boot und lassen ihn die Konsequenzen seiner Handlungen spüren. Dieses „Mit-Hineinziehen“ ist hoch manipulativ, weil der andere unter Druck kommt und ich ihn für mich arbeiten lasse.
Sobald ich merke, irgendjemand zieht hier an mir und will mich irgendwohin bringen, wo ich gar nicht hin will, werde ich schon manipuliert und missbraucht. Dem muss ich Einhalt gebieten, weil der Narzisst sonst immer mehr an Terrain gewinnt und ich selbst taub dafür werde. Das heißt, der Narzisst betäubt sich zunächst selbst, um den inneren Schmerz nicht zu spüren, den er in sich trägt, und er betäubt auch sein Umfeld. Schließlich werden seine Opfer gefügig und reaktionsschwach gemacht. Wer sich zu lange als Opfer geriert und sich ausbeuten lässt, wird oft langweilig für den Narzissten und am Ende verlassen.
Dagegen ist es spannend für den Narzissten, ein Gegenüber auf Augenhöhe vor sich zu haben, das sich kreativ zu Wehr setzt. Das auch eine gewisse narzisstische Seite entwickelt, also Ansprüche stellt und sagt: „Ich will das aber so machen!“. Zwar widerspricht dem der Narzisst natürlich eine Zeit lang und versucht, sich durchzusetzen. Doch wenn das „Opfer“ oder der Interaktionspartner darauf besteht, dann lässt der Narzisst nach einer Weile auch locker.
Der Narzisst macht ja kaum die Erfahrung wie es ist, mal einzustecken, mal selber etwas zu opfern. Wenn man ihm das behutsam beibringt, dann kann das durchaus funktionieren – das ist auch in langen Beziehungen möglich. Das heißt, man muss einen Narzissten nicht immer verlassen, sondern kann auch versuchen, ihn auf der Beziehungsebene durch Maßnahmen wie diese etwas zu korrigieren.
Was zeichnet narzisstische Frauen aus?
Hagemeyer: Frauen verfolgen im Grunde dieselben Motive wie Männer, also die Sehnsucht nach Anerkennung, nach Idealen, nach extremer Selbstverwirklichung und Selbstbezug. Merkmale sind auch hier unter anderem ein Mangel an Empathie und arrogantes Auftreten. Sie sind häufig manipulativ, hinterrücks, erzählen viele Geschichten, die nicht stimmen, um gut dabei wegzukommen und verstricken sich extrem in strategischen Lügen-Geschichten.
In Beziehungen spielen sie ihre Macht oft über die Sexualität aus. Wenn man längere Zeit mit einem weiblichen Narzissten zusammen ist, muss man sich fragen, wem nützt eigentlich diese gesamte Konstellation, welche Vorteile zieht der weibliche Narzisst daraus.
Im Berufsleben stehen narzisstische Frauen oft vor einem Dilemma. Die Crux ist, dass Führungspositionen eher männlichen Rollenmodellen entsprechen. Wenn sie erfolgreich sein wollen, dann müssen sie ihre Weiblichkeit erhalten und dürfen nicht zu männlich auftreten, sonst werden sie als Frauen nicht anerkannt.
Wenn sie aber zu weiblich, zu sexy, zu kooperativ, zu flexibel, solidarisch und nachgiebig sind, dann können sie auch nicht erfolgreich sein. Weil das kein Muster ist, dass jemanden in eine Führungsposition bringt.
Narzissmus ist ja auch im Berufsleben weit verbreitet, vor allem unter Führungskräften. Woran zeigt sich das besonders? Was empfehlen Sie Mitarbeitern für den richtigen Umgang mit narzisstischen Chefs und Vorgesetzen?
Hagemeyer: Hier gelten natürlich im Grunde die gleichen Regeln im Umgang mit Narzissten wie in der Liebesbeziehung. Im Extremfall zerstört ein narzisstischer Chef, der selbstbezogene und irrationale Entscheidungen trifft, auch Unternehmenswerte.
Wenn man feststellt, dass man einen narzisstischen Vorgesetzten hat, sollte man sich ganz entspannt und in aller Ruhe überlegen: Will ich hier bleiben oder kündige ich? Gefällt mir der Job, verdiene ich gut und passen sonst auch viele softe Faktoren, dann kann man sich da auch arrangieren.
Als Untergebener eines Narzissten sollte man sich keine Angst machen lassen. Meist werden nur Bedrohungsszenarien aufgebaut, die zudem häufig auch moralisch, ethisch, wirtschaftlich und juristisch nicht in Ordnung sind. Stattdessen sollte man sich nur trauen, mutig sein und lieber selbst eine freudige Entscheidungen treffen.
Alleine tut man sich oft schwer, deswegen ist es besser, sich mit anderen Mitarbeitern zu solidarisieren und zu kooperieren sowie geschlossen als Gruppe auftreten und sagen: „Wir finden dich als Chef zwar ganz okay, aber das machen wir jetzt nicht so“. Was soll er denn machen, wenn es einen gegen zehn steht? Soll er alle entlassen? Dann kann er seinen Laden dicht machen.
Das zeigt: Die Macht liegt tatsächlich in der Belegschaft. Natürlich wird der Narzisst, wenn er von einer Revolte Wind bekommt, Tricks einsetzen. Er wird natürlich versuchen, die Belegschaft oder das Team zu spalten, jedem einzelnen eine andere Geschichte erzählen, Ängste streuen, Intrigen säen und Lügengeschichten verbreiten. Die schönste Story, die ich in diesem Zusammenhang kenne ist, dass tatsächlich die komplette Belegschaft geschlossen gekündigt hat.
Wer schließlich gekündigt wird oder selbst die Reißleine zieht und das Unternehmen verlässt, sollte auch gelassen nach vorne blicken. Ich habe die Erfahrung mit meinen Klienten gemacht, dass diese zunächst ganz verzweifelt sind und denken, sie werden nie wieder einen Job kriegen. Dann sage ich ihnen immer: Seid ganz entspannt, nehmt euch Zeit für euch selbst und in drei bis sechs Monaten habt ihr wieder einen neuen Job. So war es dann auch.
Sie haben sich ja unter anderem auch auf die Extremform „Toxic Leaders“ spezialisiert. Was steckt dahinter?
Hagemeyer: Toxic Leadership ist die Kombination von Narzissmus mit weiteren Merkmalen wie Sadismus, Machiavellismus und antisozialem Verhalten. Sadismus bedeutet, Lust daran zu haben, andere zu quälen und ihnen Leid zuzufügen. Machiavellismus bezeichnet die Kunst der Kriegsführung, bei der es darum geht, mit allen verfügbaren Mitteln einzelne Schlachten und am Ende den Krieg zu gewinnen.
Machiavellistische Menschen verfolgen einen genauen Plan und wollen ihre Ziele um jeden Preis erreichen. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, Menschen Leid anzutun und sie aus dem Weg zu räumen und Leichen im Keller zu stapeln. Antisoziales Verhalten in psychopathischer Ausprägung ist dadurch charakterisiert, dass Regeln und Gesetze nicht für diese Personen gelten.
Es gibt auch verdeckt toxisch agierende Führungskräfte, die das nicht offen zeigen. Aber wir leben in einer Zeit, in der toxische Leader verstärkt offen agieren, wie wir an Donald Trump, dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro oder weiteren Despoten in Osteuropa sehen. Das Dilemma ist, dass hier das männliche Rollenmodell erfüllt wird, das von Stärke, Durchsetzungskraft und Glaubwürdigkeit gekennzeichnet ist. Und all das erfüllen diese toxischen Leader auch.
Je lauter gebrüllt wird, desto mehr glaubt man diesen und dadurch bilden sich Mehrheiten. Dann sind sie plötzlich im Lead und wer im Lead ist, der gibt vor. Schließlich bilden sich unter den toxischen Führern radikale, extrem durchgetaktete Gruppen, die einen regelrechten Personenkult betreiben, der diese weiter überhöht.
Das sind fast schon faschistische Strukturen, die sich in diesen Gesellschaften bilden. Wer sich dagegen wehrt, wird sanktioniert oder aus dem Weg geräumt. Entsprechend werden sich viele Menschen anpassen und unterordnen. In dieser Entwicklung sehe ich eine große Gefahr.
Wie haben Sie selbst Ihren Narzissmus erkannt?
Hagemeyer: In meiner Ausbildung zum Psychotherapeuten kam ich das erste Mal mit dem Begriff der narzisstischen Kränkung in Berührung. Aber erst mit 35 wurde mir bewusst, dass ich selbst diesen Persönlichkeitsstil besitze. Im Nachhinein wurde mir dann klar, dass mein Verhalten oft davon geleitet war, immer gut wegzukommen, nicht anzuerkennen, dass man etwas nicht kann, sich nicht zu entschuldigen, wenn man mal etwas verbockt hat oder die Schuld immer im Außen zu sehen.
Entscheidend für diese Selbsterkenntnis waren Hinweise von Kollegen. Sie sagten häufig, „schick doch diesen narzisstischen Patient mal zum Pablo, der kann mit denen ganz gut umgehen“. Sie haben erkannt, dass ich einen guten Zugang zu narzisstischen Typen habe, mit ihnen in Resonanz gerate und das auch gut aushalten kann, wenn sie nervig werden.
Schließlich hat mir eine Kollegin gesagt, dass ich auch so ein bisschen Narzisst bin – aber kein schlimmer, eher ein netter! So entstand dann der Begriff netter Narzisst, der auch im Buchtitel auftaucht und das ist für mich auch okay so. Die Selbsterkenntnis und die Fähigkeit des Benennens von Narzissmus macht dieses Phänomen sichtbar und dann können wir auch viel besser damit umgehen.
Worauf haben Sie sich in Ihrer Praxis in Weilheim am Starnberger See spezialisiert?
Hagemeyer: Ich betreibe als Psychiater eine ganz reguläre Praxis für Psychotherapie und Psychiatrie. Zusätzlich versorge ich den Landkreis noch mit der sogenannten psychosomatischen Grundversorgung.
Das heißt, ich bediene die großen Themen wie Depressionen und Angststörungen, die häufigsten psychischen Störungen, an denen wir leiden. Natürlich behandle ich auch Narzissten, aber viel häufiger noch deren Opfer.
Was ist abschließend Ihr wichtigster Rat an Narzissten und an Menschen, die mit diesen zu tun haben?
Hagemeyer: Meine Empfehlung lautet: Geht etwas gnädiger mit gemäßigten Narzissten um. Narzissmus ist kein Schimpfwort, sondern eine Bezeichnung für Selbstverliebtheit und eine überhöhte Selbstwahrnehmung.
Wenn dieser Narzisst nervt, dann kann man das wahrscheinlich noch etwas korrigieren. Wenn einem jedoch ein pathologischer Narzisst Schaden zufügt, dann sollte man diesem unbedingt aus dem Weg gehen. Das ist mein Fazit.
Was ist für Sie persönlich der Sinn des Lebens?
Hagemeyer: Das ist eine gute Frage! Der Sinn des Lebens hat für mich sehr viel mit Evolution zu tun. Wir stammen alle aus einer stofflichen, unbelebten Welt, auf deren Basis sich die belebte und die psychische Welt entwickelt hat. Auch in der Welt der Psyche optimieren wir uns immer mehr, das ist Evolution.
Ich denke, das Spirituelle ist nur eine Emergenz aus diesem ganzen. Wir denken, dass es da etwas Höheres gibt und es fühlt sich auch so an. Aber auf die Frage, ob es einen Gott gibt, würde ich als Wissenschaftler eher antworten, das kann nicht sein. Gott ist eher eine Projektion von uns selbst. Wir werfen wie ein Filmprojektor ein Bild an die Wand und sehen da ein überhöhtes Bild von uns selbst, das uns tröstet.
Wir denken, da ist jemand, der auf uns aufpasst. Damit stärken wir unseren Selbstwert und die Selbstsicherheit. Aber letztendlich sind wir es selbst, die diese Projektion auslösen. Das sagen auch viele Psychoanalytiker, dass es Gott nicht gibt oder nicht zu geben braucht. Wenn ich dagegen einen Teil in mir betrachte, der gerne hätte, dass es so etwas wie Transzendenz gibt, dann würde mich das auch nicht stören, wenn es so etwas tatsächlich gäbe. Also einen größeren Architekten oder einen größeren Sinn hinter allem.
Das Interview führte Markus Hofelich.
Weitere Informationen unter: www.neurodoctor.de
Bilder: Dr. Pablo Hagemeyer, Christian Stadler
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